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Noémis Lied

Ein dystopisches Märchen
ISBN/EAN: 9783944873008
Umbreit-Nr.: 344856

Sprache: Deutsch
Umfang: 296 S., 1 Illustr., schwarzweißbild
Format in cm: 1.8 x 21 x 15
Einband: kartoniertes Buch
Lesealter: 14-99 J.

Erschienen am 26.10.2013
€ 14,90
(inklusive MwSt.)
Nachfragen
  • Zusatztext
    • Plötzlich waren sie da. Am Anfang nannte man sie nur "Musikräuber". Doch als die ersten Menschen starben und die ersten Kolonien entstanden, nannte man sie nur noch "Schänder". Anarchie brach aus, Diktaturen folgten. Die Welt wurde hart und kalt und grausam. Und Grau. Ohne Musik. Diese war strengstens verboten. Ein beklemmendes Zukunftsszenario, eine Welt ohne Musik, ohne Konzerte. Undenkbar?
  • Kurztext
    • Eine Welt ohne Musik, ohne Konzerte und teils in Anarchie, teils in Diktatur lebend. Aus dieser trostlosen Welt entspringt ein ungewöhnliches Paar, das die Außenwelt und ihre Abenteuer zusammenschweißt. Eine Geschichte über die Macht der Liebe und die Macht der Musik.
  • Leseprobe
    • 1 Noémi war einer dieser Menschen. Und doch war sie anders, denn ihr blieb die Musik nicht vollkommen verschlossen. Sie konnte sie zwar nicht machen, jedenfalls nicht mit ihrer Stimme, denn sie war stumm. Aber sie konnte sie überall wahrnehmen. Noémi besaß die Gabe, die Musik in den Köpfen der Menschen zu hören. Sie wusste nicht, weshalb, aber sie stellte sich diese Frage auch nie. Für sie war es die einzige Möglichkeit, an Musik zu kommen, denn auch wenn sie ein ausgesprochen gutes Gedächtnis hatte, war es ihr unmöglich, Musik aus ihren eigenen Gedanken zu beschwören. Es war, als läge einem etwas auf der Zunge, aber solange niemand da war, der es einem geben konnte, konnte man es nicht greifen. Allzu schlimm war das für Noémi aber nicht. Die Menschen dachten viel an Musik, das hatte sie schnell herausgefunden. Selbst das Edikt des Schweigens, das Gesetz, das Musik bei Todesstrafe verbot, hielt die Leute nicht davon ab. Und sie war schön, diese Musik, manchmal leise und verträumt, manchmal kraftvoll und zornig. Hielt Noémi sich mit vielen anderen an einem Ort auf, dann klirrten die Orchester der Köpfe oft durcheinander, aber das störte sie nicht. Zumeist genoss sie dieses Beisammensein von alltäglicher Musiklosigkeit außerhalb und wilder Choräle innerhalb ihrer Gedanken. Über all das dachte sie nach, während sie in ihrer stillen Welt saß und von der Bahn durchgerüttelt wurde. Sie spürte die Vibration des arbeitenden Motors und der Strecke in ihrem ganzen Körper, und sie erfreute sich daran. Die Bahn wirkte so lebendig, im Gegensatz zu der Ware, die sie transportierte: Menschen, die von der Arbeit kamen. Sie alle hingen wie leere Hüllen auf den Sitzen, starrten dumpf vor sich hin und mühten sich, den letzten Rest Energie zusammenzuhalten, um ihn zuhause in etwas zu investieren, das ihnen Freude bereitete. Und wenn sie keine Energie mehr hatten, würde das Fernsehen reichen müssen. Noémi seufzte und ließ den Blick schweifen. Keiner dieser Menschen hatte gerade die Kraft, an Musik zu denken. Nur ein einziges, leises Echo drang in ihre Gedanken vor, eine Rockballade, die sehr alt war und an die sich viele Leute gerne erinnerten. Noémi kannte den Text, ohne zu wissen, wer ihn sang. Manche Menschen erinnerten sich besser an die Stimme des Sängers, andere konnten sie nur bruchstückhaft wachrufen. Dieses Echo heute war schwach, aber schön. Vorsichtig beugte Noémi sich nach vorne, löste damit ihren Hinterkopf von der Fensterscheibe, an der sie lehnte, und sah die Sitzreihe entlang, die den Gang auf ihrer Seite säumte. Fünf oder sechs Sitze entfernt saß eine Frau, die versonnen lächelte. Ihre Brauen zuckten, als sie ihr inneres Radio neu justierte und ein anderes Lied durch sich fließen ließ. Noémi kannte es nicht, konnte die Frau nun aber deutlicher hören. Wenn sie die Menschen sah, ging es immer besser. Die Musik baute sich langsam auf, Instrument für Instrument, immer wieder die gleiche Passage, die jedes Mal etwas anders war, wenn eine neue Klangfarbe hinzukam. Noémi kannte diese Art von Musik sehr gut. Als letztes würde ein Sänger einsetzen, die Krönung der Musik für viele Menschen. Die Hörende öffnete die Lippen und formte kurze Silben, doch Noémi erkannte daran, wie ruhig ihre Kehle wirkte, dass sie nicht laut sprach, obwohl sie über den Lärm des Zuges ohnehin keinen Ton vernommen hätte. Sie hatte nur den ersten Worten des Sängers in ihrem Kopf mehr Ausdruck verliehen. Es klang wunderschön und Noémi lauschte andächtig. Zwei Stationen später musste sie aussteigen und befand sich gleich darauf in völliger Stille. Ein Fernseher hinter Panzerglas, der über den Gleisen angebracht war, zeigte TONLOS-TV, den Sender, der sein Programm nur mit Untertiteln ausstrahlte. Noémis Blick wurde für einen Moment davon angezogen. Eine der Schänderkolonien war zu sehen, reihenweise Menschen, die ausgezehrt nebeneinander standen und verzweifelt sangen. Noémi sah schnell zur Seite weg, aber schon drangen die schrecklichen Töne in i