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Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage

Roman, cabrio 2
ISBN/EAN: 9783932927362
Umbreit-Nr.: 1147320

Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Format in cm: 2.2 x 21.5 x 13.5
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 22.11.2010
€ 14,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • "Am Tag, als Janis Joplin starb, unterschrieb mein Vater den Kaufvertrag für unser Reihenhaus. Er legte so den Grundstein dafür, dass eine große Liebe zu einer Gütergemeinschaft verkam." Frank Jöricke präsentiert romanhaft eine witzige Zeitreise durch die verschiedenen Dekaden der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte. Wie sich die schräge Verwandschaft des Protagonisten durchs Leben schlägt, spiegelt die Einflüsse der jeweiligen gesellschaftlichen Ereignisse und Entwicklungen auf äußerst kurzweilige Weise. Seien es die Studentenunruhen, die Ölkrise oder das Aufkommen des Feminismus, Daily Soaps oder die Maueröffnung, alles Anlässe für den Erzähler, mit abgeklärt-kompromisslosem Blick die schrullige Bagage, die sich Verwandschaft nennt, bei ihrem bunten Treiben zwischen Zeitgeist und Fettnäpfchen zu beobachten. Es entstehen typische Charakterbilder skurriler Normalos, die sich tapfer durchs Reihenhausleben schlagen: Onkel, Tante, die Eltern, die sich mit ihrer späten Scheidung "um viele schöne getrennte Jahre" gebracht haben.
  • Autorenportrait
    • Seine Tätigkeit als Werbetexter hat Frank Jöricke (*1967) aus Trier nicht geschadet. Im Gegenteil, zeichnet sich doch seine Sprache durch ihre Treffsicherheit und lebendige Fabulierkunst aus. Erweitert um den Blick des Texters, der schon von Berufs wegen immer ein genaues Sensorium für die kleinen und großen Widersprüche des Lebens haben muss, verfällt er dennoch nicht dem Zynismus oder der Verklärung. Dies ist wohl weniger der neuen Ernsthaftigkeit als dem nostalgischen Wohlwollen zu verdanken, das einen erfasst, wenn die eigene Jugend- und Adoleszenszeit langsam aber sicher zu Geschichte wird. Frank Jöricke hat sie aufgeschrieben. Mit einem Auszug aus seinem Roman "Mein liebestoller Onkel." zog er bis ins Finale des Poetry Slams in Trier; Jürgen von der Lippe und Ingo Naujoks gefiel der Roman so gut, dass Ingo Naujoks das Hörbuch eingelesen hat. Im populären Sachbuch "Jäger des verlorenen Zeitgeists" stellt er seine Fähigkeiten als Zeitgeistinterpret fundiert und kurzweilig erneut unter Beweis. Außerdem gilt Jöricke als der Entdecker von Guildo Horn, arbeitet nebenbei als Bad-Taste- und Ü-30-DJ, ist Ex-Fußballschiedsrichter und manischer Blutspender (75 x in 19 Jahren) - dabei sind seine Bücher alles andere als anämisch!
  • Leseprobe
    • "Als ich neun Jahre alt war, wusste ich, wie die Welt funktioniert. Mir konnte keiner etwas vormachen. Längst hatte ich sämtliche Lebenslügen der Erwachsenen durchschaut. Unbeirrt und unbestechlich diagnostizierte ich das "Genusstrinken" vereinsamter Hausfrauen und überforderter Abteilungsleiter als diskrete Form des Alkoholismus. Ebenso weigerte ich mich, Behauptungen wie, man rauche nur deshalb zwei Päckchen HB jeden Tag, weil es so lecker schmecke, widerspruchslos hinzunehmen. Im Gegenteil. Gern gab meine Tante Gertrud bei Familienfeiern jene Episode zum Besten, wie ich auf einer längeren Überlandfahrt eine geschlagene Stunde auf sie eingeredet habe, um ihr die Gefahren des Rauchens in der gebotenen Drastik vor Augen zu führen. Danach sei sie so mit den Nerven runter gewesen, dass sie sich zwei Zigaretten auf einmal habe anzünden müssen. Auch gab ich mich keinen Illusionen über das Berufsleben hin. Ich sah, wie die tägliche Fron die Väter meiner Freunde verkümmern ließ. Lange bevor der Feminismus die Reihenhauszeilen der Kleinstädte erreichte, war mein Glaube an die Maskulinität erschüttert. Die Männer, die ich kennen lernte, waren keine kohleverschmutzten Kerle, die sich in ihrer Freizeit, wenn es sein musste, für ihre Kinder prügelten. Nein, es waren Schwächlinge, denen nicht nur der zu eng gebundene Schlips die Luft zum Leben nahm. All dies zu erkennen, war keine Kunst. Auch bilde ich mir nichts darauf ein, das Ehedebakel meiner Eltern Jahre im Voraus kommen gesehen zu haben. Eher wundere ich mich, dass sie sich aus einer törichten, schwer nachvollziehbaren Trotzhaltung heraus weigerten, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Warum sie wider jede Vernunft an ihrer Ehe festhielten, habe ich nie begriffen. Sie haben sich damit um viele schöne getrennte Jahre gebracht. Vielleicht denken Sie jetzt, ich wäre ein altkluges, eingebildetes Kerlchen gewesen. Doch ich hatte allen Grund, eingebildet zu sein. Es gibt nämlich nur wenige Menschen, die von sich sagen können: "Mein Onkel war auf dem Mond." Ich gehöre dazu. Mein Onkel Charles Pete Conrad war der Leiter der zweiten Mondexpedition Apollo 12. Ich gebe zu, die Bezeichnung "Onkel" ist etwas ungenau. Es ist nämlich so, dass Pete Conrads Urgroßvater auch der Urgroßvater meiner Oma war. Somit sind meine Gene zu 6,25 Prozent identisch mit denen von Pete. Mit diesem Wissen fiel es mir in angespannten Lagen oft leichter, die Ruhe zu bewahren. Ich stellte mir dann vor, wie Pete schwerelos über den Mond hüpft. Oder vom All aus die Welt betrachtet. Von dort oben müssen ihm die Erdbewohner ziemlich klein und lächerlich vorgekommen sein. Sogar unsere Familie. Und das will etwas heißen. Als ich neun Jahre alt war, wusste ich, wie die Welt funktioniert. 1967: Studentenunruhen Am Tag meiner Geburt gingen Millionen von Menschen auf die Straße. Gern würde ich behaupten, sie demonstrierten für den Weltfrieden oder gegen den Hunger in Afrika. Es handelte sich aber nur um die alljährlichen Maikundgebungen, bei denen die Werktätigen des Westens das Himmelreich auf Erden einforderten, während ihre Kollegen aus dem Osten kundtaten, dass sie in diesem längst lebten. Das Ganze war eine reichlich verlogene Angelegenheit. Aufrichtiger ging es einen Monat später zu. Da bekannte ein ehrlich fanatisierter Polizist Farbe, indem er einen ehrlich fanatisierten Studenten niederschoss. Dies war "der Tag, der Deutschland veränderte", das heißt, das Leben lief weiter wie bisher. Meine Mutter quälte sich auch nach dem tödlichen Schuss morgens um sieben aus dem Bett, fand die Welt gar nicht in Ordnung und hetzte zur Arbeit. Mein Vater drehte sich dann noch einmal um, schnaufte kurz und schlief weiter. Nur mein Opa - Gott hab ihn selig! - gewöhnte sich in jenen Tagen an, vom "Studentenpack" zu sprechen, und vergaß dabei, dass sein eigener Sohn noch die Hochschule besuchte. Natürlich hatte mein Opa Recht. Nicht weil er irgendwelche Argumente zur Unterfütterung seines Urteils vorgebracht