Detailansicht

Erzählungen vom Balka

Erzählungen - Leben, Bibliothek Ostsüdost, Neue Prosa
ISBN/EAN: 9783866602939
Umbreit-Nr.: 7138049

Sprache: Deutsch
Umfang: 364 S., 11 Illustr., historische Fotografien
Format in cm: 3.2 x 21.8 x 14.7
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 23.09.2022
€ 29,95
(inklusive MwSt.)
Sofort Lieferbar
  • Zusatztext
    • Bora Stankovic hat mit seiner ersten Erzählsammlung "wie ein Blitz in die Literatur eingeschlagen", schrieb der führende Literaturkritiker Jovan Skerlic 1899, und 1902, als der zweite Erzählband herauskam, rief der Dichter Jovan Ducic begeistert aus: "Ich kenne nichts, das wärmer und reizender wäre, und dieser erregte Zustand der Seele, diese Leidenschaft, diese aufgewühlte Wärme, hält sich von der ersten bis zur letzten Zeile." Noch heute berühren Stankovics Geschichten zutiefst, lassen Liebe, Bangen, Mitleid und Sehnsucht erleben - es scheint, dass sich die menschliche Seele nicht in Zeiträumen verändert, die in Jahrhunderten gemessen werden. Dieses Buch versammelt vierzehn Erzählungen und neunzehn Skizzen, die Stankovic von der Jahrhundertwende bis in die 1920er Jahre verfasst hat. Die ersten Geschichten spielen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich Serbiens Südosten vom Osmanischen Reich zu befreien beginnt, die späteren im Belgrad der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Der Auswahl kanonischer Texte geht eine Einführung in das Leben und Werk des Schriftstellers voraus. Sie bietet einen Einblick in einen historischen Raum, der südslavische, westeuropäische und osmanische Einflüsse in sich vereinigt, und in eine Zeit, die in patriarchal-feudalen Besitzverhältnissen beginnt und mit dem Übergang in eine moderne europäische Gesellschaft endet. Bora Stankovic: geb. 1876 (?) in Vranje, gest. 1927 in Belgrad, zählt zu den wichtigsten Autoren der serbischen Literatur. Sein Theaterstück Kostana ist das meistgespielte Drama des Landes und ist, wie der Roman Hadschi Gajka verheiratet sein Mädchen, mehrfach verfilmt und vertont worden. Seine Erzählungen gehören zu den ersten Prosatexten Europas, die eine offene Sinnlichkeit thematisieren. "Die Seiten, auf denen er die Macht der Leidenschaft beschreibt, sind wahrscheinlich die feurigsten, emotional intensivsten unserer gesamten Literatur." (Mesa Selimovic) Robert Hodel: geb. 1959 in Buttisholz (Luzern), studierte Slavistik, Philosophie und Ethnologie in Bern, Sankt Petersburg und Novi Sad. Seit 1997 ist er Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg.
  • Leseprobe
    • Aus einem alten Evangelium In der Nacht Cveta saß auf dem Acker und wartete auf ihren Mann Jovan, der Wasser für den Tabak zuleiten wollte. Sie hatten die Pflanzen letzte Woche gesetzt und noch immer waren sie nicht angegossen. Cveta kauerte, ihr Kinn lag auf den angezogenen Knien, sie blickte mit schläfrigen Augen in die warme, dunkle Nacht hinaus. Im Osten hoben sich die Umrisse der nahen Hügel und Bergkämme dunkel vom tiefroten Himmel ab, der Mond war noch nicht aufgegangen. Auf den bepflanzten, von Furchen durchzogenen Äckern arbeiteten in ihrer Nähe überall Menschen im Laternenlicht, und vor ihr, am Fluss und am Weg entlang, ragten hohe Pappeln und dichte Weiden empor, die lispelten und schwankten, als seien sie menschliche Gestalten. Hier und da war der dumpfe, metallene Klang einer Haue zu vernehmen, die heiseren Stimmen von Arbeitern, deren Zurufe der warme Wind, der leise durch die Ebene strich, sogleich wieder vertrug. Cveta war erschöpft und müde, kämpfte gegen den Schlaf, als sie plötzlich dumpfe Schritte hörte, die näherkamen. Schon bald erkannte sie die Stimme ihres Mannes. "Hier!", sagte er zu jemandem, "schau, Bruder, schon das ganze Jahr herrscht Trockenheit, kein Tropfen Wasser ist gefallen. Schau, wie welk alles ist, eine Sünde, nur schon hinzusehen. Da! Von zehn Setzlingen hat nicht einer Wurzeln geschlagen. Ein Elend, sag ich dir!." "Schon wahr! Schon wahr!", erwiderte der andere. "Gott!, wieder er?!", schreckte Cveta auf, als sie die zweite, weiblich klingende Stimme erkannte. Sie erhob sich hastig, ergriff die Haue, lief, als würde sie fliehen, in den Acker und begann zu hacken. Jovan trat auf sie zu: "Du arbeitest?" Er nahm die Haue von der Schulter, schlug sie in die Erde, legte die Laterne ab und setzte sich auf den Flurrand. "Komm her, Gazda Stojan, wandte er sich an seinen Begleiter, der ihm folgte, "komm, setz dich ein bisschen." "Gleich, gleich!", ließ sich die andere Stimme vernehmen. Mit unsicheren Schritten, von einer Furche in die nächste stolpernd, tauchte eine lange, schmächtige Gestalt auf, die ebenfalls eine Laterne und eine Haue trug. "Guten Abend! Ihr arbeitet?", fragte er leise und irgendwie schüchtern. Cveta grüßte nicht. Vielleicht war sie in die Arbeit vertieft und hatte ihn nicht gehört. "So quälen wir uns ab, Herr, wie alle armen Schlucker", gab ihm Jovan zur Antwort und rückte etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. "Setz dich. Ruh dich aus. Möchtest du etwas Tabak?" "Ja, warum nicht!" Und um sich blickend, setzte sich Stojan langsam hin, kreuzte die Beine, drehte den Tabak ein und begann hastig, ungeschickt, zu rauchen. Jovan führte seine Klage über die schlimmen Jahre, die schlechten Zeiten, die Gemeinde, die Müller und alle anderen fort, die verhinderten, dass ihm Wasser zugeteilt wurde. Stojan hörte zu, nickte zustimmend mit dem Kopf, rauchte, gab hier und da zerstreut Antwort. Wer weiß, wie lange es noch gedauert hätte, wenn Jovan nicht plötzlich aufgesprungen wäre, um sich über die Erde zu beugen: Er hörte, wie in der Ferne ein Wasserlauf rieselte und schlängelnd in ihre Richtung floss. Voller Freude warf er die Zigarette zu Boden, ergriff die Haue und rannte ohne Laterne dem Wasser entgegen. "Cveta, mach die Furchen bereit", rief er ihr zu, die weiter entfernt noch immer hackte. "Und du, Gazda, warte, ich komme gleich wieder. E-e-ej!", rief er fröhlich und gedehnt und tauchte in die Dunkelheit ein. Sein plötzliches Verschwinden schien Stojan zu erschrecken, denn auch er erhob sich, lief hinter ihm her, kam aber sogleich wieder zurück, setzte sich erneut und begann trockene Grashalme auszuzupfen. Er horchte auf Cvetas Schläge. Auf einmal legte er die Hand an den Mund und rief leise in ihre Richtung: "Cveta!" Es kam keine Antwort, er vernahm nur das Schlagen der Haue. "Cveta!", rief er lauter. Sie schwieg noch immer. "Cveta, hörst du mich?" Er beugte sich nach vorne, schärfte Ohren und Augen, sah, wie sie