Detailansicht

An der Grenze

Die biotechnologische Überwachung von Migration
ISBN/EAN: 9783593501413
Umbreit-Nr.: 8869316

Sprache: Deutsch
Umfang: 205 S.
Format in cm: 1.3 x 21.5 x 14.2
Einband: Paperback

Erschienen am 10.11.2016
Auflage: 1/2016
€ 41,00
(inklusive MwSt.)
Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen
  • Zusatztext
    • Die Staaten der Europäischen Union haben in den vergangenen Jahren ein »biotechnologisches Grenzregime« errichtet, das über ein nahezu totales Wissen über die Körper von Einwanderern und Staatsbürgern verfügt. Die gesammelten biometrischen Daten reichen von Fingerabdrücken und Iris-Scans zur Identitätsfeststellung über Röntgenbilder des Körpers zum Zweck der Altersbestimmung bis hin zu DNAAnalysen im Rahmen von Familienzusammenführungen. Dieser interdisziplinäre Band bietet einen detaillierten Einblick in gegenwärtige biotechnologische Grenzregime im Kontext neoliberaler Herrschaftsstrukturen und analysiert zentrale politische, soziale und ethische Implikationen dieser Praxis.
  • Kurztext
    • Die Staaten der Europäischen Union haben in den vergangenen Jahren ein 'biotechnologisches Grenzregime' errichtet, das über ein nahezu totales Wissen über die Körper von Einwanderern und Staatsbürgern verfügt. Die gesammelten biometrischen Daten reichen von Fingerabdrücken und Iris-Scans zur Identitätsfeststellung über Röntgenbilder des Körpers zum Zweck der Altersbestimmung bis hin zu DNAAnalysen im Rahmen von Familienzusammenführungen. Dieser interdisziplinäre Band bietet einen detaillierten Einblick in gegenwärtige biotechnologische Grenzregime im Kontext neoliberaler Herrschaftsstrukturen und analysiert zentrale politische, soziale und ethische Implikationen dieser Praxis.
  • Autorenportrait
    • Torsten Heinemann ist Marie Curie Fellow an der University of California, Berkeley, und Juniorprofessor für Soziologie an der Universität Hamburg. Martin G. Weiß ist Assistenzprofessor am Institut für Philosophie an der Universität Klagenfurt.
  • Leseprobe
    • Biotechnologische Grenzregime Torsten Heinemann und Martin G. Weiß In den vergangenen drei Jahrzehnten verloren Ländergrenzen insbesondere in Europa zunehmend an Bedeutung. Mit der Unterzeichnung des Schengener Abkommens im Jahr 1985 begann ein Prozess, an dessen Ende das vollkommene Abschaffen von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der teilnehmenden Staaten sowie ein einheitliches Einreise- und Visa-Kontrollsystem stehen sollten. Heute sind wir es gewohnt, europäische Ländergrenzen zu überschreiten, ohne einen Ausweis vorzeigen zu müssen oder kontrolliert zu werden. Häufig sind diese Grenzen kaum noch wahrnehmbar, sind doch die Infrastrukturen, Grenzabfertigungsstellen, Passkontrollstellen, Schlagbäume und Zäune vielerorts längst verschwunden oder verwaist und ungenutzt. Diese Entwicklung hin zu einem vermeintlich grenzenlosen Raum wurde spätestens seit dem Jahr 2015 zu einem Problem erklärt. Mit der deutlich gestiegenen Zahl an Asylsuchenden sowie der wachsenden Terrorangst angesichts der Anschläge in Paris, Brüssel, Marseille und zuletzt Würzburg und Ansbach traten Grenzen beziehungsweise deren Abwesenheit schlagartig wieder ins Zentrum der medialen und öffentlichen Wahrnehmung. Galt der Abbau von Grenzen lange Zeit als eine zentrale Errungenschaft der europäischen Integration und eines friedlichen Miteianders wurde nun die Frage laut, ob nicht mangelnde oder fehlende Grenzkontrollen entscheidend dazu beigetragen haben, dass Einwanderer in großer Zahl nach Mittel- und Nordeuropa kommen und sich Terroristen über Ländergrenzen hinweg organisieren und agieren konnten. Als Reaktion auf die Zuwanderung von Menschen und aktuelle Terrorgefahren wurden deshalb von einigen Staaten wieder Grenzkontrollen an den Binnengrenzen des Schengenraumes eingeführt und die sogenannten Außengrenzen durch neue Grenzsicherungsanlagen, Mauern und Zäune verstärkt. Das Fokussieren auf aktuelle Entwicklungen an den Grenzen lässt jedoch die Tatsache in den Hintergrund treten, dass diese nie gänzlich ungesichert waren. Die Einführung der innereuropäischen Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen ging vielmehr mit einem systematischen Aufrüsten der Außengrenzen einher. Dabei geht es nicht nur darum, das Überwinden dieser Grenzen zu erschweren oder gar zu verunmöglichen. Vielmehr ist es das Ziel, Grenzen so zu sichern, dass sie für "erwünschte" Personen weiterhin leicht passierbar und durchlässig sind, während "unerwünschte", gefährliche oder sonstwie als problematisch erachtete Menschen identifiziert und am Einlass gehindert werden können. In den vergangenen Jahrzehnten wurden komplexe Grenzregime installiert, die genau diesen Zweck erfüllen sollen. Es werden diverse technologische Innovationen eingesetzt, um Grenzen zu kontrollieren und die Durchlässigkeit beziehungsweise den Übertritt von Grenzen zu steuern. In ganz entscheidendem Maße zählen hierzu Biotechnologien, beispielsweise Irisscans, Sensoren zum schnellen Erfassen und Vergleichen von Fingerabdrücken und Gesichtsmerkmalen, Wärmebildkameras und Krankheitsschnelltests oder DNA-Analysen. Der Einsatz dieser Technologie ist aus politischer, sozialer, rechtlicher und philosophischer Perspektive alles andere als unproblematisch. Es gibt eine Reihe von Arbeiten, die sich auf internationaler Ebene, insbesondere im angelsächsischen Raum, mit unterschiedlichen Biotechnologien und ihrem Einsatz im Kontext der Einwanderungspolitik und -administration beschäftigen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die wegweisenden Arbeiten von Katja Franko Aas zur Ideologie eines objektiven, unveränderbaren Körpers, den man für verschiedene Formen der Kontrolle auslesen kann (Aas 2006) sowie zu verschiedenen Biotechnologien und deren Potential einer Kriminalisierung von Reisenden (Aas 2011; Aas et al. 2010). Huub Dijstelbloem und Albert Meijer (Dijstelbloem/Meijer 2011) haben sich in einem Sammelband mit neuen Technologien der Grenzsicherung in Europa befasst, wobei der Fokus vor allem auf politikwissenschaftlichen Fragen liegt. Weniger technologiebezogen untersucht der Sammelband New Border and Citizenship Politics (Schwenken/ Russ-Sattar 2014), wie sich neue Formen der Grenzkontrollen auf Fragen der Inklusion, Exklusion und (Staats-)Bürgerschaft auswirken. Bemerkenswert ist, dass neue Grenztechnologien im deutschsprachigen Raum kaum thematisiert und systematisch reflektiert werden. Eine nennenswerte Ausnahme stellt die Arbeit der Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa dar, die jedoch ebenfalls biotechnologische Aspekte der Grenzkontrolle nur am Rande in den Blick nimmt (Forschungsgruppe "Staatsprojekt Europa" 2014). Das geringe Interesse an biotechnologischen Grenzregimen mag zum einen darin begründet sein, dass es an der Schnittstelle verschiedener Wissenschaftsfelder, darunter der Migrationssoziologie, Wissenschafts- und Technikforschung, Rechtswissenschaften, Kriminologie, Surveillance Studies sowie Bio- und Ingenieurwissenschaften angesiedelt, in jedem dieser Felder aber eher randständig ist. Viele der Fragestellungen sind jedoch zwingend interdisziplinär zu untersuchen, um der Komplexität und den verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden, was eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Ein weiterer Grund ist zum anderen, dass biotechnologische Grenzregime, wie oben argumentiert, lange Zeit wenig sichtbar waren und es zum Teil heute noch sind und deshalb weniger Aufmerksamkeit erhalten. Oft werden solche Technologien auch als Erleichterung und Verbesserung des Einreiseprozesses erlebt, beispielsweise das EasyPASS-System, eine automatische Passkontrolle, welche an deutschen Flughäfen eine vereinfachte Einreise aus Ländern außerhalb des Schengen-Raumes ermöglicht und von Inhaber_innen eines Passes eines EU-Staates, des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sowie der Schweiz ohne weitere Anmeldung genutzt werden kann. Der vorliegende Band nimmt die hier beschriebene Leerstelle in der öffentlichen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Grenzsicherungstechnologien und Einwanderungskontrollen zum Anlass, sich genauer und aus unterschiedlichen Perspektiven mit Grenzziehungen durch biotechnologische Innovationen zu beschäftigen. Angesichts der Herausforderungen, vor denen Europa gerade steht, könnte das Thema aktueller nicht sein und es ist drängender denn je, sich mit den Inklusions- und Exklusionsprozessen zu beschäftigen, die auf der Basis biowissenschaftlichen Wissens an Landesgrenzen zu beobachten sind. In der folgenden Einführung werden wir einen kurzen Überblick über biotechnologische Grenzen und deren Implikationen geben. Wir unterscheiden hierfür zunächst zwischen konkreten Techniken und Infrastrukturen bevor wir genauer auf Techniken der Reisebeschleunigung sowie der Exklusion eingehen. Abschließend stellen wir die in diesem Band enthaltenen Beiträge vor. Techniken und Dateninfrastrukturen Betrachtet man allgemein den Einsatz von biotechnologischem Wissen und entsprechenden Verfahren im Rahmen von Einreise- und Einwanderungsverfahren, so lassen sich zwei unterschiedliche Aspekte der Grenzsicherung unterscheiden, die jeweils eigenen Logiken folgen und unterschiedliche Fragen und Probleme aufwerfen. Zum einen handelt es sich um konkrete Techniken und Apparate, die biologische Informationen erfassen und auslesen, zum anderen um Infrastrukturen, insbesondere große Datenbanken, die diese Informationen speichern und in kurzer Zeit auf unterschiedlichen Ebenen verfügbar machen. Das wohl bekannteste biometrische Verfahren, mit dem bereits viele Menschen im Zusammenhang mit Auslandsreisen oder seit einigen Jahren allein schon bei der Antragstellung für einen Reisepass in Kontakt gekommen sein dürften, sind Fingerabdrücke. Diese werden in vielen Ländern bei der Einreise erfasst und sind seit 2009 auch in deutschen und österreichischen sowie seit 2010 auch in schweizerischen biometrischen Reisepässen gespeichert. Andere Verfahren, d...