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Made in Germany

eBook - Große Momente der deutschen Wirtschaftsgeschichte
ISBN/EAN: 9783593435282
Umbreit-Nr.: 9418209

Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S., 9.02 MB
Format in cm:
Einband: Keine Angabe

Erschienen am 11.08.2016
Auflage: 1/2016


E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen
€ 16,99
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • An einem Sommertag 1888 setzt sich eine Frau mit ihren beiden Söhnen in eine motorisierte Kutsche, die ihr Mann gebaut hat - mit ihrer waghalsigen Probefahrt verhilft Bertha Benz dem Automobil zum Durchbruch. 1945 übernehmen zwei Brüder in Essen den Tante-Emma-Laden ihres Vaters - Karl und Theo Albrecht begründen damit das Discountmodell im Einzelhandel. Sternstunden wie diese prägten die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Sie legten die Grundsteine für Weltkonzerne, für die soziale Marktwirtschaft und den Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland. Die Pioniere von damals glänzten durch Eigenschaften, von denen "die Entscheider von heute" noch immer vieles lernen können. 20 Meilensteine "made in Germany" stellt dieses Buch in packenden Reportagen vor. Es verdeutlicht anschaulich, wie wir von diesen Errungenschaften profitieren.
  • Kurztext
    • An einem Sommertag 1888 setzt sich eine Frau mit ihren beiden Söhnen in eine motorisierte Kutsche, die ihr Mann gebaut hat - mit ihrer waghalsigen Probefahrt verhilft Bertha Benz dem Automobil zum Durchbruch. 1945 übernehmen zwei Brüder in Essen den Tante-Emma-Laden ihres Vaters - Karl und Theo Albrecht begründen damit das Discountmodell im Einzelhandel. Sternstunden wie diese prägten die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Sie legten die Grundsteine für Weltkonzerne, für die soziale Marktwirtschaft und den Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland. Die Pioniere von damals glänzten durch Eigenschaften, von denen "die Entscheider von heute" noch immer vieles lernen können. 20 Meilensteine "made in Germany" stellt dieses Buch in packenden Reportagen vor. Es verdeutlicht anschaulich, wie wir von diesen Errungenschaften profitieren.
  • Autorenportrait
    • Massimo Bognanni (links) ist Reporter im Investigativteam beim Handelsblatt. Sven Prange ist Mitglied der Chefredaktion und Textchef der WirtschaftsWoche.
  • Leseprobe
    • Vorwort<br/>Die Stimmungslage der Deutschen könnte widersprüchlicher kaum sein. Einerseits durchlebt das Land heute eine der wirtschaftlich stärksten Epochen seiner Geschichte. Deutsche Unternehmen sind Exportweltmeister, deutsche Premiumprodukte in aller Welt gefragt und nie war die Arbeitslosigkeit niedriger.<br/>Einerseits. Andererseits ist dieses Deutschland auch verzagt. Man mag "die Moderne" nicht mehr so gerne, man hat Angst vor offenen Grenzen und freiem Handel. Man schaut neidisch auf die amerikanischen Internetkonzerne und fragt bange: Was lassen die wohl von meinem Arbeitsplatz, meinem Unternehmen übrig, wenn die digitale Revolution erst mal über uns geschwappt ist?<br/>Sie denken dann an Fragen wie: Ist unser einzigartiger Mittelstand weiterhin die Zier der Ökonomie, wenn demnächst der Geist der digitalen Revolution die Leitwährung der globalen Industriegesellschaft wird? Wovon wollen wir leben, wenn die Weltgesellschaft demnächst in Google-Cars statt Daimlers durch die Metropolen fährt? Und was macht der deutsche Tüftler demnächst, wenn ihn intelligente Roboter aus der Werkshalle verdrängt haben?<br/>Wie so oft hilft "der Blick zurück" dabei, Ängste zu nehmen. Denn die derzeitige Phase des Umbruchs ist für den Kern der deutschen Wirtschaft keine neue Erfahrung. Zweimal musste sie sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten neu erfinden. Das erste Mal zu Beginn der Industrialisierung. Und das zweite Mal nach dem Zweiten Weltkrieg, als Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland einen moralischen wie wirtschaftlichen Bankrott zu verzeichnen hatten und schon deswegen wieder von vorn beginnen mussten.<br/>Zweimal hat dieser Neuanfang sehr stabile ökonomische Fundamente für die folgenden Epochen gelegt. Wenn wir jetzt also in einer Phase sind, in der die digitale Revolution und die große Krise des Finanzkapitalismus unser Wirtschaftssystem zum dritten Mal grundlegend verändern, hilft der Blick auf die Essenzen der ersten zwei Umwälzungen - auf die Meilensteine der deutschen Wirtschaftsgeschichte.<br/>Es sind Ereignisse, die die Grundsteine dafür legten, dass Deutschland der große Gewinner der derzeitigen Globalisierung ist. Aus diesen Meilensteinen kristallisieren sich Tugenden heraus, die unser Wirtschaftssystem charakterisieren, wenn es sich heute auf den Weg in die Zukunft macht - Lehren, aus welchen Eigenschaften sich welche Stärken unseres Wirtschaftssystems entwickelten. Exemplarisch seien da genannt:<br/>die Aufmüpfigkeit, mit der Friedrich List und Karl Marx den deutschen Obrigkeitsstaat herausforderten und die soziale Frage thematisierten,<br/>die Schlitzohrigkeit, mit der Ernst-Wilhelm Arnoldi oder Alfred Krupp große Konzerne gründeten,<br/>Moral, ohne die Wirtschaft nicht funktioniert, wie die Biografien von Berthold Beitz im Positiven und Ferdinand Porsche im Negativen zeigen,<br/>das Gespür für die soziale Frage, mit dem Ferdinand von Stumm-Halberg und Hugo Stinnes das deutsche Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern begründeten,<br/>der Wagemut, mit dem Bertha Benz das Auto durchsetzte,<br/>das Verhandlungsgeschick und die Kompromissbereitschaft, mit der Hermann Josef Abs an der Spitze der Deutschen Bank brillierte und Birgit Breuel die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft vorantrieb,<br/>die Geradlinigkeit, mit der die D-Mark ins Leben gerufen wurde und, ganz wörtlich genommen, Dieter Rams deutsche Designgeschichte schrieb,<br/>die Kooperationsbereitschaft, die bei der Gründung der deutschen Chemie-Branche und der deutschen Luftfahrt so wichtig war,<br/>die Fantasie, mit der nach dem Krieg die Brüder Karl und Theo Albrecht das Discount-Prinzip erfanden oder die SAP-Gründer später den einzigen deutschen IT-Konzern von Weltgeltung formten,<br/>die Weltoffenheit, ohne die Industriekonzerne wie Siemens oder der komplette deutsche Mittelstand nie zu Größe gelangt wären.<br/>Das also sind zehn Eigenschaften, die zeigen: Die Wirtschaft braucht Macher, die bereit sind, Bestehendes zu hinterfragen, und die mit den gewonnenen Erfahrungen Neues errichten wollen. Dieses Buch will helfen, anschaulich und nah an den Protagonisten, die Erinnerung an diese Erfahrungen zu bewahren. Die Entdeckungsreise durch die Wirtschaftsgeschichte unseres Landes bringt dabei erstaunlich aktuelle Lehren zutage.<br/>1817<br/>Friedrich List -<br/>Wegbereiter<br/>des Deutschen Zollvereins<br/>1781 Immanuel Kant veröffentlicht die Kritik der reinen Vernunft, ein Schlüsselwerk der europäischen Aufklärung.<br/>1782 Friedrich Schillers Drama Die Räuber wird in Mannheim uraufgeführt. Zusammen mit Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther (1774) läutet es die Epoche des literarischen "Sturm und Drang" ein.<br/>1785 Eine Personenreise von Paris nach Straßburg dauert nach dem Ausbau eines Chausseenetzes aus befestigten Straßen rund viereinhalb Tage.<br/>1800 Schätzungsweise 900 Millionen Menschen leben auf der Erde, davon 50 Millionen in Städten über 10?000 Einwohnern.<br/>1815 Der auf dem Wiener Kongress ins Leben gerufene Deutsche Bund umfasst 41 souveräne Staaten.<br/><br/>Die Auswandererbefragung<br/>von Heilbronn<br/>Friedrich List ist unbequem. Schonungslos sagt er selbst dem König, was im Lande Württemberg schief läuft. Das Leid Tausender Auswanderer erregt ihn so sehr, dass er nach Lösungen sucht. Er wird zum Vordenker der Deutschen Zollunion.<br/>Die Sondermission ist heikel. Seine Königliche Majestät hat sie persönlich angeordnet. Und der Innenminister hat im größtmöglichen Gehorsam seinen besten Mann ausgewählt: Es ist Friedrich List, ein junger Rechnungsrat in Stuttgart, der am 29. April 1817, 17 Uhr, das Briefkuvert mit dem königlichen Siegel aufschlitzt. Aufgeregt überfliegt der 28-jährige Beamte das Schreiben mit dem königlichen Auftrag.<br/>Es hat Eile, denn die Auswanderungswelle sorgt für Druck. Seit Januar 1816 haben 19?000 Menschen die Ausreise beantragt. Pächter, Bauern, Handwerker - sie alle wollen das kleine Königreich Württemberg verlassen. Am 1. Mai soll ein Transporter mit Auswanderern von Heilbronn losschippern, über den Neckar, auf den Rhein, bis zu den Atlantikhäfen der Niederlande - und von dort geht es auf die große Überfahrt nach Amerika, ins Land der Freiheit und des steigenden Wohlstands.<br/>"Seine Königliche Majestät haben sich zu dem Befehle gewogen gefunden, dass hierüber nähere Untersuchung durch Vernehmung der Auswanderer eingeleitet werden soll", heißt es in dem Brief, der List erreicht hat. Und, falls möglich, solle der Regierungsrat die Auswanderungswilligen "durch angemessene Belehrung" gleich von ihrem Vorhaben abbringen.<br/>König Wilhelm I. läuft das Volk davon<br/>Ein Grinsen huscht über Lists bubenhaftes, von franseligen Koteletten eingerahmtes Gesicht. Innenminister Karl von Kerner scheint ihm wohlgesonnen, denn es ist nicht der erste Sonderauftrag für das junge Talent. Wie vor einem Jahr, als er die Verwaltung seiner Heimatstadt Reutlingen prüfen sollte. Die Bürger der einst unabhängigen Reichsstadt hatten es nicht verkraftet, fortan von Oberamtmann Veiel verwaltet zu werden, diesem ihrer Meinung nach korrupten und inkompetenten Autokraten. List prüfte seine Verwaltung schonungslos. Da halfen auch die Proteste Veiels nicht, List sei doch als gebürtiger Reutlinger parteiisch. Der Nachwuchsbeamte List schlug vor, die Buchführung zu vereinfachen, ausstehende Steuern sofort einzutreiben und verlustbringende städtische Betriebe zu verkaufen: eine Ohrfeige für den Oberamtmann. Veiel wurde strafversetzt - unter dem Jubel der Reutlinger.<br/>Zum Dank bekam List eine Festanstellung als Rechnungsrat und fortan ein ansehnliches Monatssalär von 1?200 Gulden. Jetzt soll er also in Heilbronn tätig werden. Einmal mehr ist Lists kritischer Blick gefragt. Am frühen Morgen passiert er den Fleiner Torturm, eilt durch die Fleiner Straße, vorbei an der Kilianskirche, durch die Kirchbrunnenstraße zum Brückentor, in die dicht bebaute Altstadt. Enge Gassen, schiefe Fachwerkhäuser, kleine Marktplätze: ein beschauliches Städtchen, das weniger als 10?000 Einwohner zählt.<br/>Bevor er seine Mission beginnt, meldet sich der Rechnungsrat beim Oberamt der Stadt Heilbronn, mit dem königlichen Kuvert wedelnd. Ordnung muss sein. Zwei Einheimische begleiten ihn zum Hafen. Als wolle sie sich anschauen, welch Unheil sie über Württemberg gebracht hat, steigt an diesem April-Morgen über dem Hafen die Sonne auf. Endlich Sonne - ein ganzes Jahr hat sie sich nicht blicken lassen. "Achtzehnhundertunderfroren" hatten sie das düstere, eisige Jahr 1816 geschimpft. Die Getreide- und Kartoffelernte war ausgefallen, es folgte die große Teuerung. Brot kostete ein Vermögen. "Herr, gib uns täglich Brot aus Gnaden immerdar. Vor Mangel, teurer Zeit uns fernerhin bewahr", beteten die Menschen. Es half nichts. Vor allem die Arbeiter mussten ihre bescheidenen Besitztümer verkaufen, um zu überleben. Zehntausende verarmten völlig.<br/>Notausgang: Amerika<br/>Wie wimmelnde Ameisen laufen Hunderte Menschen vor dem Heilbronner Hafenkai umher. Voll bepackte Pferdekarren knarzen über das Kopfsteinpflaster. Ächzend hievt der hölzerne Kran unentwegt Fracht auf die Schiffe. Auf dem Hafenvorplatz hausieren Menschen zwischen Habseligkeiten, andere drängen schon auf die Schiffe. Insgesamt 600 bis 700 Württemberger bereiten sich auf die lange Reise vor. Acht Kähne haben am Ufer festgemacht, fertig für die Abfahrt in 48 Stunden.<br/>Es wird ein Wettrennen. Immerhin ist List als Journalist, als der er sich nebenher versucht, das Befragen von Menschen nicht fremd. Er quartiert sich direkt am Hafen ein, im Gasthaus Zum Kranen. Gleich vor seiner Bleibe werden Auswanderungswillige ins Verzeichnis aufgenommen und geben ihre Fracht auf. Check-in ins gelobte Land. List packt einen Mann bei der Schulter, beugt seinen pausbäckigen Wuschelkopf vor, redet mit ruhiger Stimme. Er bitte um Entschuldigung, und dies im Namen der Königlichen Majestät. Er sei aus Stuttgart angereist. Keineswegs sei gemeint, der Auswanderung irgendein Hindernis in den Weg legen zu wollen. Es gehe lediglich um eine Erkundung der Gründe.<br/>Nach einigem Zögern spricht der Auswanderer Jakob Strähle, Zimmermann aus Eggolsheim (Oberamt Ludwigsburg), verheiratet, drei Kinder. Offenherzig, so bittet List, solle Strähle die Ursachen schildern, warum er sein Vaterland verlassen wolle, um in ein entferntes, noch nicht entwickeltes Land zu ziehen.<br/>Die Wut der Bürger<br/>Zum ersten Mal wird Strähle von offizieller Seite nach seinem Befinden gefragt. Der Zimmermann lässt sich nicht lange bitten. Keinen Verdienst habe er, klagt Strähle. Dazu noch dieser ständige Druck: "Wir mögen klagen, wo wir wollen, so finden wir kein Recht. Die Abgaben sind eben zu groß. Anno 1811 haben wir dem König die Straßenkosten vorschießen müssen, aus unserem Beutel, und man sagte uns, es werde wieder zurückbezahlt. Jetzt hören wir, der Amtspfleger, der die Kasse verwaltet, habe das Geld schon vor zwei Jahren erhalten und treibe es um."<br/>Strähles Stimme bebt. Als sei ein Damm gebrochen, sprudelt der aufgestaute Verdruss ganzer Jahre aus ihm heraus. Die Getreideabgabe zum Beispiel: Dieses Frühjahr habe man sie von ihm erhoben, ungeachtet, dass er selbst überhaupt keine Güter besitze. Als er dem Bürgermeister und dem Schultheiß, dem städtischen Schuldeneintreiber, vor der ganzen Gemeinde klagte, er selbst habe seit Monaten kein Mehl mehr, habe es nur geheißen: "So ist der Befehl. Und wenn ihr nicht liefert, so schicke ich euch den Presser!"<br/>Hinzu kommen die ständigen Demütigungen. Bei den Beamten höre man nichts als Schimpfwörter - "Flegel" sei noch das mindeste. Beim Eintreiben der Steuer und bei Straßen- und anderen Verträgen sei der Beamte immer der Unternehmer und nehme den Bürgern das Brot vor dem Munde weg. Strähle, der frustrierte Zimmermann, redet sich in Rage, er holt mit seinen Pranken aus, schlägt durch die Luft. "Er lässt durch seinen minderjährigen Sohn, der nicht verheiratet ist, draufschlagen", schreit Strähle, "und wenn ein anderer Bürger draufschlägt, ist er in Verdammnis."<br/>Mehr als hundert Auswanderer befragt der als Sonderbotschafter eingesetzte List an den kommenden Tagen, und zwar nicht nur in Heilbronn, sondern auch in Neckarsulm und Weinheim. Was er hört, stimmt ihn nachdenklich. Korrupte Beamte allerorten, die autokratisch, unehrenhaft und unfähig sind. Geschichten von Despoten werden ihm berichtet, die ganze Städte unter sich aufteilen, von Beamten, die Spenden des Königs für die Hungerleidenden höchstbietend verscherbeln.<br/>Gleichzeitig schmilzt die große Teuerung die Einkommen der Bürger dahin - verschlimmert durch Gemeindesteuern, Kirchenzehnten, Abgaben. Schließlich fordert auch noch der Adel seinen Tribut. Dessen Wildschweine für die Jagd zerstören die Felder der Bauern. Eine Entschädigung gibt es nicht. Selbst das Sammeln von Feuerholz in ihren Wäldern verbieten die Aristokraten. So unsicher das Leben des einfachen Volkes, so sicher ist ihm nur eines: die Willkür vor den Gerichten. Auch hier hat die Korruption Einzug gehalten.<br/>Kaum ist List an seinen Schreibtisch zurückgekehrt, schreibt er seinen Abschlussbericht ("Stuttgart, der 7. Mai 1817"). Mit spitzer Feder prangert er die "mangelhaften Institutionen des Staates an", ferner Korruption, Armut, Arbeitslosigkeit. Als Medizin schlägt er vor, die Macht der Feudalherren zu beschneiden. Es sind keine leicht bekömmlichen Worte, keine einfache Rezeptur, die List seinem Monarchen, König Wilhelm I., da serviert. Und damit nicht genug: Die ganze Gemeindeverwaltung müsse neu geordnet werden, schimpft List nach der Expedition in ein geknechtetes Land.<br/>Doch es gibt in seinen Augen ein übergeordnetes Übel. Wenn er, wie List schreibt, die Resultate seiner Untersuchung in einem Satz zusammenfasse, so gebe es eine Grundursache für die Auswanderung: "Übelbehagen, das heißt Druck, Mangel an Freiheit, in ihren bisherigen Verhältnissen als Staats- und Gemeindebürger."<br/>Der Mangel an Freiheit als Grundübel ist das Motiv, das den ehrgeizigen Beamten nicht mehr loslassen wird. Geprägt von den Armutsbefragungen im Jahr 1817 wird List ein Vordenker des Liberalismus. Wenig später überträgt er diese Denkweise auf die Wirtschaft und wird Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbevereins. In einer Petition fordert er 1819 vor der Bundesversammlung einen gemeinsamen deutschen Binnenmarkt.<br/>Die Schranken der 39 Einzelstaaten, die Händlern auf deutschem Grund das Leben erschweren, sollen fallen. "Zoll- und Mautlinien in Deutschland lähmen den Verkehr im Innern und bringen ungefähr dieselbe Wirkung hervor, wie wenn jedes Glied des menschlichen Körpers unterbunden wird, damit das Blut ja nicht in ein anderes überfließe. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zoll- und Mautordnungen zu studieren, zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen", heißt es in der Philippika des einstigen württembergischen Beamten.<br/>Jahrzehntelang wird Friedrich List für seine Vision kämpfen. Wegen Verleumdung der Regierung und Verletzung des Pressegesetzes sollte der glühende Patriot ins Gefängnis. Mit seiner Auswanderung in die USA 1825 entging er der Strafe. In den Vereinigten Staaten war er Farmer, Kohleförderer, Zeitungsredakteur und Eisenbahnpionier.<br/>Trotz aller Widerstände sollten Lists Ideen Gehör finden: Am 1. Januar 1834 tritt der Deutsche Zollverein unter preußischer Führung in Kraft: Der erste gemeinsame deutsche Wirtschaftsraum ist geboren. Norddeutsche und süddeutsche Staaten bildeten im Herzen Europas eine Freihandelszone von 30 Millionen Einwohnern. Zölle und Abgaben, die den Warenaustausch bis dato behindert hatten, wurden eingeschränkt oder fielen gleich ganz weg. Ökonomisch war der Zusammenschluss rasch ein Erfolg. Vor allem Produkte aus Preußen und Sachsen fanden ihren Weg vermehrt in den Süden. Und auch bei den Zahlungsmitteln kam man sich näher: Die Staaten entwickelten ein Taler-Gulden-System.<br/>Was daraus wurde<br/>Über 181 Jahre nach Inkrafttreten seines Herzensprojektes ist der Vordenker Friedrich List den meisten Menschen in Deutschland weitgehend unbekannt. Häufig werden sein Name und seine Lehren mit Schutzzöllen und Protektionismus in Verbindung gebracht - und gelten manchem Experten als historisch überholt. Dabei nimmt List in der deutschen Geschichte einen wichtigen Platz ein - den des Wegbereiters des Deutschen Zollvereins. Zwar hat er an den Verhandlungen, die zum Zollverein führten, nie direkt teilgenommen. List hat aber öffentlich wie kein anderer für den Zollverein geworben und mit seinen Ideen und Lehren die Freihandelsdebatte befeuert.<br/>Dank des Zollvereins erwuchs aus vielen deutschen Kleinstaaten erstmals eine gemeinsame Wirtschaftszone. Der Verein sorgte für einen wirtschaftlichen Aufschwung und bildete den Grundstein für die Einigung Deutschlands 1871. Manchen gilt dieses seltene Beispiel gelungener Integration sogar als Referenzpunkt der europäischen Integration.<br/>Lesetipp<br/>Eugen Wendler, Friedrich List (1789-1846). Ein Ökonom mit Weitblick und sozialer Verantwortung, Wiesbaden 2013.<br/>