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Hermann Langbein

eBook - Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit, Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts
ISBN/EAN: 9783593418773
Umbreit-Nr.: 4137628

Sprache: Deutsch
Umfang: 641 S., 3.86 MB
Format in cm:
Einband: Keine Angabe

Erschienen am 08.11.2012
Auflage: 1/2012


E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen
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  • Zusatztext
    • Das Leben Hermann Langbeins (1912 1995) war ein Leben in Extremen: Aufgewachsen in Wien, trat er 1933 der Kommunistischen Partei bei, nahm nach dem »Anschluss« Österreichs am Spanischen Bürgerkrieg teil und wurde 1941 von Frankreich nach Deutschland ausgeliefert. Er überlebte im Widerstand engagiert die Konzentrationslager Dachau und Auschwitz.1954 wurde er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz Komitees, das gegen große Widerstände versuchte, in der bundesdeutschen und österreichischen Gesellschaft eine Wahrnehmung der Verbrechen von Auschwitz durchzusetzen. Er engagierte sich für die Strafverfolgung der Täter, die Entschädigung der Opfer, die Erforschung der Lagergeschichte. Mit zunehmender Distanz zur Kommunistischen Partei geriet er zwischen die Fronten des Kalten Kriegs. Hermann Langbein trug maßgeblich zum Zustandekommen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses bei und bezeugte seine Erinnerungen in Büchern wie »Menschen in Auschwitz«. Anhand bisher unausgewerteter Quellen zeichnet Katharina Stengel das Leben dieses Auschwitz-Überlebenden als politischem Akteur der Nachkriegszeit nach.
  • Kurztext
    • Das Leben Hermann Langbeins (1912 1995) war ein Leben in Extremen: Aufgewachsen in Wien, trat er 1933 der Kommunistischen Partei bei, nahm nach dem »Anschluss« Österreichs am Spanischen Bürgerkrieg teil und wurde 1941 von Frankreich nach Deutschland ausgeliefert. Er überlebte im Widerstand engagiert die Konzentrationslager Dachau und Auschwitz.<p>1954 wurde er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz Komitees, das gegen große Widerstände versuchte, in der bundesdeutschen und österreichischen Gesellschaft eine Wahrnehmung der Verbrechen von Auschwitz durchzusetzen. Er engagierte sich für die Strafverfolgung der Täter, die Entschädigung der Opfer, die Erforschung der Lagergeschichte. Mit zunehmender Distanz zur Kommunistischen Partei geriet er zwischen die Fronten des Kalten Kriegs. Hermann Langbein trug maßgeblich zum Zustandekommen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses bei und bezeugte seine Erinnerungen in Büchern wie »Menschen in Auschwitz«. Anhand bisherunausgewerteter Quellen zeichnet Katharina Stengel das Leben dieses Auschwitz-Überlebenden als politischemAkteur der Nachkriegszeit nach.
  • Autorenportrait
    • Katharina Stengel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut, Frankfurt. Zusammen mit Werner Konitzer hat sie zuletzt »Opfer als Akteure. Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit« (2009) herausgegeben.
  • Schlagzeile
    • Auschwitz im Kalten Krieg
  • Leseprobe
    • Sie forschten und publizierten zur Geschichte der Konzentrationslager, sammelten Berichte, Dokumente und Fotos, entwickelten Formen des Gedenkens und schufen Orte dafür, versuchten die Öffentlichkeit über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären, kämpften für die Entschädigung der Opfer und für die Strafverfolgung der Täter: Es waren fast ausschließlich ehemalige KZ-Häftlinge und andere Verfolgte des Nationalsozialismus, die sich zwischen den späten 1940er und den frühen 1960er Jahren für all diese Tätigkeiten zuständig fühlten.<p><p>Eine Gruppe ehemaliger Häftlinge des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz schuf sich dafür eine feste organisatorische Struktur - das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK). In der Hochphase des Kalten Krieges war dieses Komitee mit seinen grenzüberschreitenden Netzwerken und Aktivitäten und der proklamierten Überparteilichkeit ein fast einzigartiges Experiment; als Brücke zwischen West- und Osteuropa standen ihm Möglichkeiten offen, die den meisten Verbänden und Institutionen dieser Zeit versperrt blieben. Zugleich prallten im Auschwitz-Komitee unterschiedliche Interpretationen und Erzählweisen der Lagergeschichte auf­einan­der. Trotz der Dominanz antifaschistischer Häftlinge sollten mit der Arbeit des Komitees gleichermaßen politische wie jüdische KZ-Häftlinge repräsentiert werden, und für eine kurze Zeitspanne kamen hier tatsächlich Positionen zusammen, die sich wenig später unversöhnlich gegenüberstanden: Kommunistische Funktionäre und Angehörige des polnischen Widerstands suchten eine gemeinsame Sprache und Handlungsbasis mit Verfolgten, die explizit als Juden sprachen. Das Verbindende war das politische Ziel: der Versuch, die Nachkriegsgesellschaften, vor allem die bundesdeutsche, zu einer Wahrnehmung der Verbrechen von Auschwitz zu nötigen. Die sich ausdifferenzierenden und widersprechenden Darstellungen und Deutungen von Auschwitz seitens verschiedener Gruppen ehemaliger Häftlinge sowie die politischen Konflikte des Kalten Kriegs ließen ein dauerhaftes Bündnis jedoch nicht zu.<p><p>Der Österreicher Hermann Langbein war ein bedeutender Protagonist dieser frühen erinnerungspolitischen Aktivitäten. Er hat die Erfahrungen seiner zweijährigen Haft im KZ Auschwitz zum Mittelpunkt seines Lebens gemacht. In der gemeinsamen Anstrengung der ehemaligen Häftlinge, Auschwitz im Gedächtnis der Nachkriegsgesellschaften zu verankern, sah er jahrelang sein wichtigstes Betätigungsfeld. Von der Gründung 1954 bis zum Jahr 1960 war er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees, anschließend noch für einige Zeit "Beauftragter für SS- und Entschädigungsfragen", bevor er das Komitee verließ. Ab den 1970er Jahren wurde er vor allem als Autor und "Zeitzeuge" bekannt.<p><p>Biographie, Verbandsgeschichte, Geschichte der europäischen Nachkriegszeit<p><p>In der vorliegenden Arbeit wird die Biographie Langbeins, genauer: bestimmte Aspekte und Ausschnitte seiner Biographie, verknüpft mit der Geschichte der ersten internationalen Organisation von Auschwitz-Überlebenden, mit ihren Tätigkeiten und ihrem politischen Umfeld. Ob es sich hierbei um eine "wahre Biographie" im Sinne Jacques LeGoffs handelt, also um eine "Präsentation und Deutung eines individuellen Lebens innerhalb der Ge­schichte", kann bezweifelt werden. Den politischen Konstellationen der frühen Nachkriegszeit, den Organisationsbemühungen, Konflikten und Tätigkeiten der ehemaligen Häftlinge und ihres Umfelds wird ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie der individuellen Lebensgeschichte des Protagonisten. Zudem nimmt die Arbeit nicht das ganze Leben Langbeins in den Blick, sondern konzentriert sich auf eine recht kurze Zeitspanne und deren Vorgeschichte. Im Zentrum stehen die Jahre zwischen der Gründung des Internationalen Auschwitz-Komitees 1954 und dem Ende des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1965, der lebensgeschichtlich für Langbein von großer Bedeutung war, aber auch als Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung der Verbrechen von Auschwitz und ihrer Opfer gelten kann. In ihren biographischen Teilen geht die Arbeit über diese Zeitspanne hinaus.<p><p>Hermann Langbein in den Mittelpunkt dieser Arbeit zu stellen, birgt eine Gefahr, die mit dem Genre der Biographie generell einhergeht: Geschichte wird als die Geschichte "großer Männer" geschrieben, deren Wirken und Denken damit zum entscheidenden Faktor historischer Ereignisse und Entwicklungen werden. Mit der Konzentration auf ökonomische und gesellschaftliche Strukturen und auf Entwicklungen größerer Zeiträume in den Geschichtswissenschaften war die Biographie für viele Jahrzehnte in die Defensive geraten. Den Vertretern der theorieorientierten Sozial- und Strukturgeschichte galt sie als Relikt des Historismus, mehr literarische Erzählform als Wissenschaft, mit einer starken Neigung zur Heroisierung und Mystifizierung der "großen Persönlichkeiten". Dazu kam eine zunehmende Skepsis gegenüber der Vorstellung einer kohärenten und konstanten "Lebensgeschichte" - von Pierre Bourdieu, vielzitiert, als "biographische Illu­sion" bezeichnet - und einem dem biographischen Schreiben oft unausgesprochen zugrunde liegenden Konzept des Individuums als einer homogenen, autonomen Einheit, das in Widerspruch steht zu allen modernen Subjekttheorien. Seit etwa zwei Jahrzehnten kann jedoch in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften eine "Renaissance der Biographie" beobachtet werden, in der sich eine Skepsis gegenüber der Tragweite und dem Determinismus abstrakter und strukturorientierter Forschung ausdrückt sowie eine Hinwendung zum Subjektiven, Kontingenten, zu Detailstudien oder, mit LeGoff gesprochen, "eine Lust auf das Konkrete". Die Vorstellungen vom Gegenstandsbereich biographischen Schreibens haben sich dabei erheblich verändert. Der "große Mann" als Solitär in Gesellschaft und Geschichte ist in der "neuen Biographik" längst abgelöst worden von einer Auffassung des Individuums als Teil der Gesellschaft, gleichermaßen Effekt und Akteur sozialer Strukturen. Das Individuum wird dabei selbst historisiert; es geht nicht um die Abbildung der jeweiligen Selbstentwürfe und Sinnstiftungen, sondern um eine Analyse ihrer historischen und gesellschaftlichen Grundlagen.<p><p>Die enge Verknüpfung von Langbeins Lebensgeschichte mit der Organisationsgeschichte der Auschwitz-Häftlinge, die hier vorgenommen wird, soll zunächst sowohl eine Konkretisierung ansonsten eher abstrakt erscheinender (erinnerungs)politischer Prozesse ermöglichen als auch eine historische Kontextualisierung der Tätigkeiten eines für die hier aufgeworfenen Fragestellungen bedeutenden Akteurs. Hierfür werden die besonderen Möglichkeiten eines biographischen Zugriffs genutzt: der mikrologische Blick, der Zugang zu den konkreten Verarbeitungsweisen historischer Erfahrungen, die Wahrnehmung eines individuellen Lebens als Kreuzungspunkt unterschiedlicher historischer und politischer Entwicklungen, Diskurse und sozialer Zusammenhänge, schließlich die Funktion der Lebensgeschichte als roter Faden für eine Erzählung, mit der auch disparat erscheinende Fragestellungen zusammengeführt werden können.<p><p>Es gibt jedoch auch spezifische, in der Biographie Langbeins liegende Gründe, die eine so enge Verknüpfung seiner persönlichen Geschichte mit der einer Organisation nahelegen: Man kann - zumindest für die frühen Jahre des Verbandes - keine Geschichte des IAK schreiben, ohne eine Geschichte Langbeins zu schreiben, umgekehrt ist aber auch eine Biographie Langbeins undenkbar ohne die Geschichte der Organisationen, für die er tätig war. Teil einer Organisation, eines Kollektivs, eines "Wir" zu sein, die individuelle Geschichte unmittelbar mit der Geschichte einer Organisation oder Partei zu verknüpfen, war ein wesentliches Merkmal seines Selbstverständnisses. In dieser Hinsicht blieb Langbein länger Kommunist, als er Partei­mitglied war. Wo immer er sich bewegte, im Österreich des "Ständestaates", in Spanien während des Bürgerkriegs, in den verschiedenen Internierungs- und Konzentrationslagern, schließlich im Wien der Nachkriegszeit, war er Mitglied, oft in leitender Funktion, von Parteien, Organisationen oder zumindest von kleinen Gruppen von Gleichgesinnten, die sich zum Selbstschutz zusammenschlossen. Dabei nahm das Auschwitz-Komitee, ebenso wie die Widerstandsorganisation in Auschwitz, lebensgeschichtlich eine besondere Stellung ein. Aus den Konzentrationslagern hatte Langbein die Erfahrung mitgebracht, dass Organisierung, und sei sie noch so rudimentär, überlebensnotwendig war und darüber hinaus die einzige Möglichkeit, "nicht zum völligen Objekt zu versinken". Aber auch jenseits dieser speziellen Erfahrung war für die Kommunisten das Kollektiv oder die Partei die Grundlage ihres Selbstentwurfs; eine individuelle Selbstverwirklichung jenseits des Korrektivs einer Gruppe wurde für unmöglich oder schädlich gehalten; das Kollektiv war ihnen nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Modell einer individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die repressiven Aspekte dieses Modells sollte Langbein zur Genüge kennenlernen. Man kann diese Orientierung am Kollektiv als ein antibürgerliches Subjekt-Modell auffassen. Zutiefst bürgerlich war es jedoch hinsichtlich der bei­behaltenen strengen Trennung in ein öffentliches und ein privates Leben. Privatleben existierte durchaus, es war vor allem identisch mit dem Familienleben, aber man sprach nicht darüber.<p><p>Wenn Langbeins Lebensgeschichte hier eng verknüpft wird mit der Geschichte des Auschwitz-Komitees, folgt das sowohl seiner Rolle in dieser Organisation als auch seinem Selbstverständnis. Langbein eignet sich als Protagonist einer Darstellung der erinnerungspolitischen Aktivitäten ehemaliger KZ-Häftlinge aber auch deswegen so gut, weil er als Person für einige der zentralen Widersprüche und Konflikte stehen kann, die sich bei der Organisierung der heterogenen Gruppe der Auschwitz-Häftlinge ergeben mussten. Er war in Auschwitz Funktionshäftling in höchster Position und sprach in der Nachkriegszeit für die Gemeinschaft der Opfer und Überlebenden. Er war kommunistischer Parteifunktionär, der, ausgehend von einer kommunis­tisch-antifaschistischen Deutung der Lagergeschichte, im Laufe der 1950er Jahre dem Massenmord an den jüdischen Deportierten einen immer zentraleren Platz in seinen Darstellungen einräumte und für eine stärkere Repräsentation jüdischer Überlebender im Verband kämpfte. Den jüdischen Verbänden erschien er zu sehr mit den Polen verbunden, den polnischen Verbänden stand er den Juden zu nah. Im Westen galt er als Kommunist, im Osten bald als Querulant. Schließlich geriet er unmittelbar zwischen die Fronten des Kalten Kriegs. Gleichzeitig hatte er eine wichtige integrative Funktion in der heterogenen Gruppe der Auschwitz-Überlebenden.<p><p>Darüber hinaus gibt es einen pragmatischen Grund für eine biographische Darstellungsform, der in der Quellenbasis dieser Arbeit liegt. Der allergrößte Teil der Dokumente, die von der frühen Geschichte des Auschwitz-Komitees erzählen, befindet sich im Nachlass Langbeins. Zwischen offizieller und privater Korrespondenz kann dabei oft nicht säuberlich unterschieden werden. Bei dieser Quellenlage bestimmen Langbeins Tätigkeiten und Perspektiven zwangsläufig die Darstellung, und es erschien angemessen, dem mit einem biographischen Zugang auch explizit Rechnung zu tragen.<p>