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Im Interesse des Gemeinwohls

Regionale Gemeinschaftsgüter in Geschichte, Politik und Planung
ISBN/EAN: 9783593390123
Umbreit-Nr.: 1280555

Sprache: Deutsch
Umfang: 397 S.
Format in cm: 2.7 x 21.5 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 14.09.2009
Auflage: 1/2009
€ 42,00
(inklusive MwSt.)
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  • Autorenportrait
    • Dr. Christoph Bernhardt, Prof. Dr. Heiderose Kilper und Dr. Timothy Moss arbeiten am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner.
  • Leseprobe
    • 4 Synthese I: Von der Theorie zur Empirie Timothy Moss/Ingrid Apolinarski/Christoph Bernhardt/Ludger Gailing/Andreas Röhring 4.1 Zwischenresümee Ziel der vorangegangenen Theoriekapitel war es, am Beispiel der regionalen Infrastruktur- und Kulturlandschaftspolitik den Ertrag neuer Erkenntnisse aus der Gemeinschaftsgut- und Gemeinwohlforschung für die Raumwissenschaften aufzuzeigen. Das nun folgende Kapitel dient der Überleitung von der Theorie zur Empirie. Hierfür sollen zunächst die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Analyse in Form forschungsleitender Thesen formuliert werden: Erstens liefern aktuelle Debatten zu Gemeinschaftsgütern und Gemeinwohl wichtige neue Perspektiven und Erkenntnisse zur Steuerung der Raumentwicklung. Debatten um das Gemeinwohl sind als Zeichen von Umbruchsituationen zu werten, in denen das Verhältnis zwischen privaten und kollektiven Interessen als gestört betrachtet und neu justiert werden muss. Die Bestimmung und Durchsetzung öffentlicher Belange sind zentrale Gegenstände jeder Raumentwicklungspolitik, sie wurden bisher in der raumwissenschaftlichen Literatur jedoch oft nur implizit oder stark normativ behandelt. Gerade heute, da beispielsweise die Bestandteile und Bereitstellungsformen von Infrastruktursystemen in Frage gestellt und die Potentiale von Kulturlandschaften für eine qualitative Regionalentwicklung erkannt werden, sind fundierte Kenntnisse über die Eignung bestimmter institutioneller Arrangements zur Steuerung dieser öffentlichen Güter von besonderem Wert. Zweitens bietet die Gemeinschaftsgutforschung ein bewährtes analytisches Gerüst zur Untersuchung spezifischer Gütereigenschaften. Anhand nutzungsbezogener Merkmale (Rivalität, Ausschließbarkeit) lassen sich Güterkategorien wie rein öffentliche, private, Allmende- und Clubgüter bilden und durch die damit verbundene Komplexitätsreduzierung grundlegende Probleme des Akteursverhaltens identifizieren. Neue Aussagekraft bekommt die Gemeinschaftsgutforschung heute durch ihre sozialwissenschaftliche Öffnung. Danach sind Gemeinschaftsgüter nicht mehr nur anhand von Rivalität und Ausschließbarkeit zu bestimmen, sondern vor allem durch Prozesse der sozialen Konstruktion. Auf diese Weise rückt ein Teil der Gemeinschaftsgutforschung näher an den normativ geladenen Begriff des Gemeinwohls heran. Aus der Analyse der Eigenschaften einzelner Güter und ihrer sozialen Konstruktion lassen sich potentiell geeignete Optionen für institutionelle Regelungen ableiten. So verlangen technische Infrastruktursysteme - als Netzwerkgüter, die Umweltgüter verteilen - besondere Governanceformen, die dieser Doppelfunktion Rechnung tragen. Bei Kulturlandschaften liegt das Hauptaugenmerk - angesichts der Heterogenität der institutionellen Zugänge - auf Regelungen, welche die vielfältigen (negativen wie positiven) externen Effekte beeinflussen. Drittens bietet die Gemeinwohlforschung sozialwissenschaftlich fundierte Orientierung für raum- und fachplanerische beziehungsweise regionalpolitische Ziel- und Steuerungsdiskussionen. Für die gegenwärtigen Debatten über die Zukunft der Daseinsvorsorge, die sich stark auf Formen der infrastrukturellen Bereitstellung (zum Beispiel öffentlich versus privat) beziehen, liefert sie damit wichtige Anregungen für die entscheidende Frage, welchen öffentlichen - und vor allem regionalpolitischen - Zielen Infrastruktursysteme dienen (sollen). Bei Kulturlandschaften hilft die Gemeinwohlforschung wiederum, die Pluralität und Konkurrenz von »öffentlichen Interessen« besser zu verstehen. Dabei plädiert die neuere Forschung gegen ein zu rigides, substantialistisches Verständnis von Gemeinwohl und für ein offenes, prozedurales Verständnis, welches der machtpolitischen Bestimmung von Gemeinwohl eher entspricht. Entscheidend ist damit die Frage, welche Gemeinwohlbelange von wem zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck bestimmt werden. Damit sind Gemeinwohldebatten oft Vorläufer von institutionellen Reformen oder neuen Governanceformen. Viertens bietet die gegenseitige Bezugnahme der Konzepte Gemeinschaftsgüter und Gemeinwohl (und der ihnen zugrundeliegenden Erkenntnisinteressen) - wie im vorliegenden Band erstmals in dieser Form vollzogen - mehrere Vorteile: Die Gemeinwohlforschung hilft, nicht nur ein Gut, sondern »Güter« in ihrem Zusammenhang und ihren Wechselwirkungen zu betrachten, das heißt sie sensibilisiert für das Nebeneinander und die Überlagerung unterschiedlicher Ansprüche und Objekte. Demgegenüber kann die Bezugnahme auf Gemeinschaftsguteigenschaften helfen, der Gefahr einer »rhetorischen Leere« bei der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs zu entgehen. Zwar gelten auch Gemeinschaftsgüter inzwischen als soziales Konstrukt, doch ist der Begriff noch nicht vergleichbar normativ aufgeladen. Fünftens belegen die ausgewählten Beispiele aus der Geschichte der Infrastruktur- und Kulturlandschaftspolitik den hohen Wert historischer Analysen gerade bei Untersuchungen zum Wandel von Verständnissen des Gemeinwohls. Dabei ist es wichtig, zwischen historisch aufgetretenen und künftig vorstellbaren Zielen des Gemeinwohls zu unterscheiden. Darüber hinaus bieten historische Rekonstruktionen Aufschluss darüber, in welchen zeitlichen oder räumlichen Konstellationen und durch welche Faktoren sich ein bestimmtes Gut zu einem Gemeinwohlobjekt entwickelt. 4.3 Charakteristische Gemeinschaftsgutprobleme von Infrastruktursystemen und Kulturlandschaften Welche charakteristischen Gemeinschaftsgutprobleme wurden auf der Grundlage der theoretischen Abhandlungen für die beiden Handlungsfelder identifiziert? Für Infrastruktursysteme besteht das grundlegende Gemeinschaftsgutproblem in dem Spannungsverhältnis zwischen der Bereitstellung von Netzwerkgütern (zum Beispiel von Wasserinfrastrukturen) und dem Schutz von Umweltgütern (zum Beispiel von Wasserressourcen) als institutionelle Herausforderung. Hierbei geht es um die Steuerung des Umgangs mit zwei lebenswichtigen Gütern, wobei strukturell das Problem darin liegt, dass das Umweltgut Wasser im Interesse der Allgemeinheit möglichst sparsam verwendet und das Netzwerkgut Wasserinfrastruktur im Interesse der Nutzer und Betreiber (bis zu einer gewissen Sicherheitsreserve) möglichst voll ausgelastet werden soll. Einen gesellschaftlich akzeptablen Ausgleich zwischen diesen Gemeinschaftsgutinteressen zu erzielen, ist das Ziel diesbezüglicher institutioneller Regelungen. In Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums - und des infrastrukturellen Ausbaus - wurden diese Regelungen oft zugunsten einer sicheren Wasserversorgung und auf Kosten des regionalen Wasserhaushalts ausgelegt. Heute führt der demographische und wirtschaftliche Strukturwandel jedoch in vielen Teilen Ostdeutschlands zu einem unter Wasserwirtschaftlern zuvor weitgehend unbekannten Problem: Überkapazitäten und Unterauslastungen ihrer Ver- und Entsorgungsnetze. Appelle von Versorgungsbetrieben an ihre Kunden, mehr Wasser zu verbrauchen, um die steigenden spezifischen Infrastrukturkosten zu drücken, sollen nun Anreizstrukturen für den vermehrten Verbrauch von teilweise - zumindest regional betrachtet - knappen Wasserressourcen schaffen. Bei unseren Untersuchungen im Raum Berlin-Brandenburg konnten also Interessenskonflikte zwischen dem Ziel der Aufrechterhaltung effizienter und effektiver Wasserinfrastruktursysteme in Zeiten starker Unterauslastungen einerseits und dem Schutz teilweise knapper regionaler Wasserressourcen andererseits identifiziert werden. Zugespitzt wird diese regionale Ausprägung des Gemeinschaftsgutproblems durch aktuelle wie potentielle Wirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt. Während vor allem Wasserversorger aus infrastrukturellen Gründen gegen das Wassersparen plädieren, argumentieren Klimaforscher, Hydrologen und Ökologen für eine verstärkte Schonung regionaler Wasservorräte, nicht zuletzt zur Anpassung an die existierenden und die drohenden Folgen des Klimawandels. Bezogen auf Kulturlandschaften steht folgendes grundlegendes Ge...