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Handbuch der Wolkenputzerei

Gesammelte Essays
ISBN/EAN: 9783446205765
Umbreit-Nr.: 1419647

Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Format in cm: 2.6 x 22 x 15
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 28.02.2005
€ 19,90
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Raoul Schrott verfügt über "die wunderbare Kunst, sich in fremde Bilder- und Gedankenwelten einzufügen." (Jury Joseph-Breitbach-Preis 2004). Mit seinen Essays über Poetik und Literaturkritik, über das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften, über Religion und Sprache, Jazz und Kreativität führt er den Leser in das Handwerk des Dichters ein: Schreiben und Reisen, Lesen und Übersetzen. Zusammen mit dem Journal seiner Iran-Reise während des Afghanistankrieges zeigt sich der ganz reale Horizont des Weltreisenden Raoul Schrott.
  • Kurztext
    • Raoul Schrott verfügt über "die wunderbare Kunst, sich in fremde Bilder- und Gedankenwelten einzufügen." (Jury Joseph-Breitbach-Preis 2004). Mit seinen Essays über Poetik und Literaturkritik, über das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften, über Religion und Sprache, Jazz und Kreativität führt er den Leser in das Handwerk des Dichters ein: Schreiben und Reisen, Lesen und Übersetzen. Zusammen mit dem Journal seiner Iran-Reise während des Afghanistankrieges zeigt sich der ganz reale Horizont des Weltreisenden Raoul Schrott.
  • Autorenportrait
    • Raoul Schrott, geboren 1964, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Peter-Huchel- und den Joseph-Breitbach-Preis. Bei Hanser erschienen zuletzt u.a. Homers Heimat (2008) und seine Übertragung der Ilias (2008), Gehirn und Gedicht (2011, gemeinsam mit dem Hirnforscher Arthur Jacobs), die Erzählung Das schweigende Kind (2012), die Übersetzung von Hesiods Theogonie (2014), der Gedichtband Die Kunst an nichts zu glauben (2015) sowie Erste Erde (Epos, 2016), Politiken & Ideen (Essays, 2018), Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal (Roman, 2019) und Inventur des Sommers (Über das Abwesende, 2023). Raoul Schrott arbeitet zurzeit im Auftrag der Stiftung Kunst und Natur an einem umfangreichen Atlas der Sternenhimmel. 2023 wird er die Ernst-Jandl-Dozentur der Universität Wien innehaben.
  • Leseprobe
    • Zur afghanischen Grenze 1. Teheran - Shiraz Nach einer Woche im Iran blieben eher fast unübersehbar viele Gedankensplitter, kaum Eindrücke, die einem nahegingen, eingingen. Man hat einen anderen Blick, wenn man die ganze Zeit untereinander Positionen verhandelt und damit beschäftigt ist, alle vorgefaßten Meinungen wieder zu vergessen und dieses Andere zu begreifen; das Fremde bleibt fremd, seltsam uneigentlich, es hielt einen in der Rolle des Beobachters, nicht des Betrachters. Wir waren als Intellektuelle gefragt, weniger als Schriftsteller, wurden von einer Diskussion zur anderen geführt und redeten, redeten bis in die Nacht mit einem stündlich wechselnden Gegenüber, wandernde Akteure auf einer politisierten Bühne, ebensooft aber auch Publikum; wir antworteten auf Stichworte und suchten hinter den Kulissen nach einem Plot, einer Einheit der Handlung und der Zeit. Oder selbst noch nach der eines Ortes. Nein, Teheran war weder Damaskus noch Bagdad; es erinnerte weit mehr an Athen, ebenso zersiedelt, der Verkehr chaotisch und Dreck in der Luft, die Straßen jedoch ungleich sauberer und die Schilder überall wie selbstverständlich zweisprachig, Englisch unter den arabischen Schriftzeichen. Sie ließen einen leicht übersehen, daß das Persische der Zoroaster selbst eine uralte indoeuropäische Sprache war und das Arabische historisch ebenso aufgezwungen war wie auch der Islam. Den Iran mit ihnen gleichzusetzen hieß, ihn mißzuverstehen und der typisch westlichen Legasthenie zu verfallen, die zwischen Iran und Irak keinen Unterschied herauslas; dagegen wehrte man sich hier um so berechtigter, als die Vergleiche mit Europa weit näher lagen. Die Atmosphäre in der Stadt glich vielmehr der eines Griechenlands Anfang der 70er Jahre, das sich noch abzufinden hatte mit der Diktatur, doch im Bewußtsein, daß das Ende bereits irgendwie absehbar sein mußte. Die Menschen begegneten uns mit einer zuvorkommenden Zurückhaltung und waren uns gegenüber dennoch offen; das war ein erstes Paradoxon. Das zweite aber, daß jeder humorlose Konformismus und vorauseilende Gehorsam, wie sie sich in totalitären Regimes ausbreiten, völlig fehlte; dazu waren sie zu abgeklärt und zugleich doch aufgeklärt. Noch die Frauen suchten diesen Individualismus unter ihrem Russari zu bewahren, und sie zeigten ihn mit jedem einzelnen Zentimeter, mit dem sie das schwarze Kopftuch zurückrückten über den dunklen Haaren. Sich die Nase von einem Schönheitschirurgen klassisch gerade richten zu lassen war gerade in Mode; wer sich das nicht leisten konnte, klebte eben ein Pflaster drauf, als ob. Es mochte eine allgemein spürbare Faszination für alles Westliche verraten, andererseits aber blieb ihnen auch nur etwas Make-up und sorgfältig manikürte Finger, um sich einer Öffentlichkeit zu zeigen, in der Musik und Tanzdarbietungen offiziell verboten sind und es unstatthaft ist, einer Frau offen in die Augen zu sehen oder ihr gar die Hand zu reichen. Der Rückzug in die Illegalität des Privaten war offensichtlich. Armenier und Türken, denen er zum Eigengebrauch erlaubt war, lieferten selbstgebrauten Wein frei Haus; in großem Kreis wurden Partys gefeiert; der Schwarzmarkt führte von unzensierten Videos bis zu Medikamenten alles, und im Untergrund gab es billiges Opium, Prostituiertenviertel und Schwulenparks. Das Regime reagiert darauf, indem es Exempel statuiert, drakonisch, einzeln und willkürlich. Sich auf offene Konfrontationen einzulassen, dazu schien sein Rückhalt in der Bevölkerung längst zu gering; ein gewonnenes oder verlorenes Fußballspiel bot Anlaß genug, um diesen Anschein einer Ordnung für ein paar Stunden auf der Straße außer Kraft zu setzen. Wenn darin ein offenes Aufbegehren lag, dann nur aus einem Bedürfnis nach Normalität; von Revolutionen hatte man genug. Worin aber diese Normalität bestehen könnte, blieb fraglich. Man versteht ein Land entweder in sieben Tagen oder in sieben Jahren; dennoch aber blieben die Bilder des Iran, die wir bekame ...