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Der leidenschaftliche Buchhalter

Philologie als Lebensform
ISBN/EAN: 9783446205505
Umbreit-Nr.: 1051304

Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format in cm: 2.4 x 20.9 x 13.4
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 10.09.2004
€ 19,90
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Thomas Steinfeld erforscht eine typisch deutsche Leidenschaft: die hohe Schule des Sammelns, Ordnens und Bewahrens. Einst war sie der Stolz der deutschen Universität - heute wird diese Wissenschaft von Amateuren gepflegt, die sich für die Sensationen des Alltags interessieren: Sport, Musik, Film. Kein Gebiet der populären Kultur, das nicht von seinen Fans philologisch erschlossen wäre. Die bemerkenswerte Geschichte einer Disziplin, die vom akademischen Olymp herabstieg, um Allgemeingut zu werden.
  • Kurztext
    • Thomas Steinfeld erforscht eine typisch deutsche Leidenschaft: die hohe Schule des Sammelns, Ordnens und Bewahrens. Einst war sie der Stolz der deutschen Universität - heute wird diese Wissenschaft von Amateuren gepflegt, die sich für die Sensationen des Alltags interessieren: Sport, Musik, Film. Kein Gebiet der populären Kultur, das nicht von seinen Fans philologisch erschlossen wäre. Die bemerkenswerte Geschichte einer Disziplin, die vom akademischen Olymp herabstieg, um Allgemeingut zu werden.
  • Autorenportrait
    • Thomas Steinfeld, geboren 1954, Germanist und Musikwissenschaftler, war Feuilletonkorrespondent der Süddeutschen Zeitung und unterrichtete außerdem als Titularprofessor am Kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Luzern. Im Paul Zsolnay Verlag erschien: Wallanders Landschaft. Eine Reise durch Schonen (2002). Im Carl Hanser Verlag sind erschienen: Der leidenschaftliche Buchhalter. Philologie als Lebensform (2004), Der Arzt von San Michele. Axel Munthe und die Kunst, dem Leben einen Sinn zu geben (2007), Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann (2010) und Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx (2017).
  • Leseprobe
    • Der erste hat ein Register aller Figuren angelegt, denen Morris und René Goscinny in ihrem Comic »Lucky Luke« ein eigenes Kapitel widmen. Dabei ist er auf den Posträuber Charles E. Bolton gestoßen, der in den von ihm geleert zurückgelassenen Kutschen gerne selbstverfaßte Gedichte zurückläßt, die er mit »Black Bart the P8« zeichnet. Ein anderer führt ein fortlaufendes Register für Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Science-fiction, »phantastische Neuigkeiten aus der Zukunft« genannt. Dabei fallen Sätze wie dieser: »Die Erzählung ist in der Welt Osten Art angesiedelt, spielt jedoch nicht in der Zeit von Simon Schneelocke.« Ein dritter sammelt Aphorismen von Frank Zappa: »You're probably wondering / Why I'm here / And so am I / So am I.« Ein vierter schließlich ist als erwachsener Mensch einem Mecki-Fanclub beigetreten und bewahrt die Abenteuer eines sprechenden Igels auf für die Zukunft. Allen ist gemeinsam, daß sie Mitglieder einer literarischen Gesellschaft sind, die einem als ebenso schwierig wie verschlossen geltenden Dichter der deutschen Avantgarde gewidmet ist, der wiederum einen Publizisten zu diesem Satz hinriß: »Wer kennt Arno Schmidt? Genauer: Wer kennt ihn außer seinen Kennern?« Eine buchhalterische Leidenschaft für aparte Gegenstände aus den Sphären der Unterhaltung scheint die Mitglieder dieser Vereinigung erfaßt zu haben. Und das alles wäre sehr apart, sehr merkwürdig und ein wenig skurril, wenn es denn selten wäre. Das ist es aber nicht. Ein wissenschaftlicher Eifer hat die gesamte Kultur ergriffen, und zwar ohne Rücksicht auf ästhetischen Rang und historische Bedeutung und gerne in den Niederungen des vermeintlich Trivialen. Gewiß, eine Philologie des Populären gibt es schon lange, seit mindestens zwei Jahrhunderten, in Gestalt des romantischen Sammelns und Edierens von Volksbüchern, Märchen, Liedern. Doch die Philologen, die solche Expeditionen ins Brauchtum unternahmen, gehörten nicht zu der Welt, die sie erfaßten. Das ist heute anders: Lebenswelt und Philologie haben sich fest miteinander verbunden. Für viele Menschen ist die Anteilnahme an den Figuren der populären Kultur, die Bewunderung für ihre Produkte und Protagonisten zu einer gelehrten Beschäftigung geworden. Die schlichten Formen der organisierten Begeisterung, die Reliquiensammlungen der Autogrammjäger, die Hitparaden, die Heiligenbildchen von den beliebtesten Fußballspielern, so wie sie seit Jahrzehnten in Wundertüten und Cornflakes-Packungen vertrieben werden, gibt es zwar nach wie vor, und von jeher und für jeden erkennbar sind sie eine volkstümliche, auf kurze Fristen hin angelegte Verwandlung des Kanonischen. Daneben aber ist längst ein kritischer Apparat getreten: Statistiken, die sich über große Zeiträume erstrecken, gehören dazu, ein immer weiter verfeinertes und verbreitetes Zitierwesen, die regelmäßige Veröffentlichung von Besetzungslisten, Werk- und Variantenverzeichnisse, Motivationstheorien und Archive für kritische Kommentare. Das alles begleitet heute die meisten Hervorbringungen der populären Kultur - so wie es in einer älteren Zeit nur ausgewählte Werke einer repräsentativen Kunst begleitet hat. Die gesammelten Werke eines Filmregisseurs, einer Schauspielerin oder eines berühmten Ensembles der populären Musik, die Produkte einer besseren Autofabrik oder eines geschickten Uhrmachers werden heute mit nicht weniger Akribie und Sachverstand kommentiert als die eines großen Dichters, komplett mit Vorwort, biographischen Anmerkungen, Echtheitskritik, Faksimiles, Überlieferungsgeschichte und allem anderen Zubehör, das ein wissenschaftlicher Apparat verlangt. Die Dramen des Sports und die erfüllten Augenblicke der populären Kultur werden, vor allem in Gestalt des öffentlichen Umgangs mit ihren Protagonisten, von unendlichen Überlegungen begleitet, in denen es nicht nur um empirische Psychologie, sondern auch um historische Vorbilder und ästhetische Konstellationen geht. Die Wissenschaft der populären Kultur übt Textkritik, wenn sie