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Freie Welt

Europa, Amerika und die Chance der Krise
ISBN/EAN: 9783446205468
Umbreit-Nr.: 1046201

Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S., mit 5 Schaubildern im Textteil
Format in cm: 3.2 x 21.7 x 15.5
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 10.09.2004
Auflage: 2/2004
€ 23,50
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Der Westen richtet sich neu aus: Europa und die USA beobachten sich mit Misstrauen, Großbritannien sucht nach seiner Sonderrolle, und noch ist überhaupt nicht absehbar, wie die Europäische Union nach der Osterweiterung funktionieren wird. Trotzdem beansprucht dieser Westen, weltweit an der Lösung politischer Konflikte mitzuwirken. Es ist seine moralische Pflicht, die Interessen der Menschen wahrzunehmen, die in Unfreiheit leben. Ein leidenschaftliches Plädoyer, die Krise als Chance zu nutzen - für eine wirklich freie Welt.
  • Autorenportrait
    • Homepage von Timothy Garton Ash
  • Leseprobe
    • Was können wir tun? Eine Krise des Westens hat eine große Chance offenbart. Werden wir sie ergreifen? Oder wird Europa halbherzig dem unausgegorenen Traum anhängen, als Großmacht mit den Vereinigten Staaten rivalisieren zu können und infolgedessen seine eigenen höheren Ziele verfehlen? Wird Großbritannien noch lange wie ein greiser Hamlet zaudern? Wird Amerika den Versuchungen der Übermacht erliegen, die Reichen weiter völlen, die Armen sterben, die Freien gleichgültig gegenüber dem Elend der Unfreien bleiben zu lassen? Erbauer einer freien Welt folgen der klugen Formel: »Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.«1 Man beachte, daß der Autor dieses Spruchs nicht »Optimismus des Herzens« sagte. Der Wille hat etwas aktiv, herausfordernd Strebsames. Man rechnet immer mit dem Schlimmsten, kämpft aber für das Beste. Zu den kuriosesten Sachverhalten unseres Zeitalters beispielloser Demokratie gehört, daß sehr viele Menschen über die konventionelle Politik so stark desillusioniert sind, daß sie nicht einmal mehr wählen gehen. Sie meinen: »Wir können in Wahrheit ja doch nicht beeinflussen, was unsere Politiker tun, und deshalb spielt es gar keine Rolle.« Beides ist falsch. Es kommt sogar sehr darauf an. Die meisten unserer glücklichen tausend Millionen führen ein relativ friedliches, behagliches Privatleben, in dem sie Politik und Ideologie tagtäglich außer acht lassen können; doch unterdessen zerstören Politiker ständig die Voraussetzungen dafür, daß unsere Kinder ebenfalls gute Verhältnisse antreffen. Nicht, daß die Herrschenden allesamt Schurken wären - jedenfalls keine ganz üblen. Doch meistens wissen sie wirklich nicht, was sie tun. Die Welt ist in ihren Händen nicht gut aufgehoben. Wir dürfen sie ihnen nicht überlassen. Und wir können sie beeinflussen. Ja, nie zuvor gab es eine Epoche, in der Politiker so oft und so eifrig mit Meinungsumfragen und Wahlanalysen herauszufinden versuchten, was Bürger wirklich wünschen, und es ihnen dann - zumindest in Form von Parolen und Versprechungen - zu geben. Was ist die »öffentliche Meinung«, der sie so viel Gewicht beilegen? Die Summe unserer Meinungen. Lenins sprichwörtliche Frage »Was tun?« legt in gewisser Weise nahe, daß dieses »Was« von irgendeiner anonymen Instanz zu erwarten wäre, seien es Parteien, Regierungen oder Klassen. Daher sollten wir besser fragen: »Was können wir tun?« Und die Antwort lautet: eine Menge. Zunächst einmal sollten wir immer, wenn jemand in der Kneipe, im Büro oder zu Hause über »die Europäer« oder »die Amerikaner« daherschwadroniert, sofort einhaken, um klarzustellen: »Welche Europäer?«, »Welche Amerikaner?« Ich hoffe, mit diesem Buch genügend Munition für ein bis zwei Salven geliefert zu haben. Durch dieses Eingreifen demontieren wir jedesmal ein wenig den gefährlichen Mythos des Nationalismus, nicht nur des britischen, französischen und amerikanischen, sondern auch des europäischen. Damit verändern wir, wenn auch nur um ein tausendstel Prozent, jene anonyme »öffentliche Meinung«, die in Umfragen zum Ausdruck kommt. Jene, die schreiben, senden oder unterrichten, können sogar mit einem hundertstel Prozent rechnen. In jüngster Zeit haben viele Autoren über die Dummheit gewettert, daß Europäer und Amerikaner miteinander zanken, während es draußen in der Welt brennt. In dieser Hinsicht ist die politische Schriftstellerei etwas Besonderes. Als Romancier oder Dichter hofft man immer, eine einzigartige Stimme zu haben, als politischer Schriftsteller auch, Sachverhalte anders, besser, lebendiger darzustellen - ist jedoch (oder sollte es wenigstens sein) beglückt und nicht bedrückt, wenn andere etwas ganz Ähnliches sagen. Denn letzten Endes kommt es ja nur darauf an, daß sich die richtige Einsicht durchsetzt. Wenn ich also heute einen Chor von Geistesverwandten beiderseits des Atlantik höre, bin ich ermutigt. Es ist so, als sähe man rechts und links neben sich Menschen mit am Abriß der Berliner Mauer arbeiten - wahrhaft herzerwärmend. Wer seine