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Der Strandläufer

Roman
ISBN/EAN: 9783442737734
Umbreit-Nr.: 1984735

Sprache: Deutsch
Umfang: 336 S.
Format in cm: 2.5 x 18.7 x 11.8
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 06.10.2008
€ 9,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Manchmal dauert es ein Leben lang, bis man nicht mehr das Kind seiner Eltern ist Eine weiße Stadt am Meer, südlich von Rom: hierher hat sich der Schriftsteller Henning Boysen zurückgezogen, um seinen neuen Roman zu schreiben. Da erhält er die Nachricht, dass sein Vater im Sterben liegt. In aller Eile fährt Boysen nach Deutschland zurück, um Abschied von ihm zu nehmen. In seinen Gesprächen mit dem Vater brechen die Traumata seiner Kindheit und Jugend wieder auf, doch am Ende gelingt es Boysen, sie zu überwinden und sich von den Dämonen der Vergangenheit zu befreien. Henning Boëtius Meisterwerk - ein psychologischer Roman, mitreißend wie ein Drama von August Strindberg, ein Bild von Edvard Munch oder ein Film von Ingmar Bergman.
  • Kurztext
    • »Boëtius hat ein zutiefst beeindruckendes und ehrliches Seelendrama von großer psychologischer Tiefe geschrieben.« Passauer Neue Presse »Ein wunderbares Buch, das seine poetische Kraft und Seelenschärfe wesentlich dem authentischen Hintergrund verdanken durfte.« Pinneberger Tageblatt »Manche Schriftsteller sind einfach begnadet. Oder müssen hart für ihren Erfolg arbeiten. Wie auch immer das bei Henning Boëtius ist, seit Jahren schreibt er gute Bücher.« Brigitte (zu »Die blaue Galeere«)
  • Autorenportrait
    • Henning Boëtius (1939-2022), wuchs auf Föhr und in Rendsburg auf und lebte zuletzt in Berlin. Er studierte Germanistik und Philosophie und promovierte 1967 mit einer Arbeit über Hans Henny Jahnn. Boëtius war Verfasser eines vielschichtigen Werkes, das Romane, Essays, Lyrik und Sachbücher umfasst. Sein Roman "Phönix aus Asche" wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er außerdem durch seine Kriminalromane um den eigenwilligen niederländischen Kommissar Piet Hieronymus.
  • Leseprobe
    • Ich weiß nichts von Marconi. Ich weiß nur, dass er entscheidend zur Entwicklung der drahtlosen Telegraphie beigetragen hat. Ein Erfinder war er, besser gesagt, ein Entdecker neuer Welten, in der die unsichtbaren Wogen eines elektromagnetischen Meeres die kleinen Papierschiffchen und Flaschenpostbotschaften des Lebens von Ufer zu Ufer tragen. Er, Guglielmo Marconi, war der Columbus dieses unsichtbaren Meeres, dessen Wellen immer noch steigen und steigen und uns umspülen, bis die Gefahr besteht, dass wir in ihm untergehen. Er wagte sich als Erster auf diesen rätselvollen Ozean hinaus. Er besaß die Kühnheit und den Erfindungsreichtum, ihn zu durchqueren mit seinen Frittern, Funkeninduktoren und Radioröhren, um schließlich einen Kontinent zu erreichen, den es auf keiner Weltkarte gibt und der doch inzwischen die Wirklichkeit beherrscht: den achten Kontinent, den Kontinent der Information. Ich weiß nichts von Marconi, höchstens, wann er geboren wurde und wann er starb. Ich habe mich lange gescheut, seine Lebensdaten in einem Lexikon nachzuschlagen. Warum?, frage ich mich. Vielleicht aus Angst, den Mythos dieses Entdeckers zu zerstören, ihm zu nahe zu kommen, so, wie ich Angst habe, mir selbst, meiner eigenen Lebensgeschichte zu nahe zu kommen? Ich traue mich nur ungern in den verwilderten Garten meiner Vergangenheit hinein, aus Furcht, Personen zu begegnen, die einst über die Macht verfügten, zu entscheiden, was Unkraut sei, was ausgerottet werden müsse oder was es wert sei, gepflegt und geerntet zu werden. Eben quert eine schwarze Katze den kleinen, steinigen Platz vor dem Turm, an dessen Mauer gelehnt ich sitze. Eine Mahnung vielleicht, behutsam vorzugehen im Umgang mit dem eigenen inneren Kontinent der Erinnerung, diesem babylonischen Sprachgewirr einst gesendeter und empfangener Botschaften, ausgehend von Menschen und Dingen oder an sie gerichtet. Sie sind oft entweder vergessen, in alle Winde verstreut, oder sie haben dieses Schicksal noch vor sich. Irgendwann werden sie sich verlieren in den Weiten des Weltalls, werden sie die Heaviside-Schicht durchdringen, diese die Erde einschließende Schale ionisierter Luft, die für Kurzwellen wie ein Spiegel wirkt, nicht jedoch für die Frequenzen, die heutzutage unsere Äußerungen transportieren. Die meisten sind inzwischen auf dem Wege zu anderen Zivilisationen, in denen es vielleicht kein Wort mehr für Liebe gibt und keines für Tod und wo den Botschaften der Vergangenheit ewiges Vergessensein droht. Es ist Marconis Turm oder vielmehr einer seiner Türme, die er für seine Experimente nutzte. Ein breiter Stummel aus Stein inmitten von Zypressen und Wacholderbüschen, gelegen auf einer unter Naturschutz stehenden Halbinsel im Tyrrhenischen Meer. Marconi hat hier einst seine Geräte vor Sturm und Regen bewahrt, hat hier sein Brot verzehrt und seinen Wein getrunken, wenn er nicht auf der Turmterrasse war, um bei schönem Wetter Radiowellen zu versenden, sie mit sanften Gebärden seiner feingliedrigen Hände im Äther zu verteilen, so wie man feine Glaceehandschuhe abstreift, um sie dem Geliebten von der Logenbrüstung aus zuzuwerfen. Ich weiß nichts von Marconi, so wie ich am liebsten möchte, dass ich nichts von mir selber weiß. Denn auch ich besitze insgeheim einen Turm, der einst meinen kleinen Lebensexperimenten als Standort diente. Er ist inzwischen nicht weniger verfallen als Marconis Turm. Allerdings beherbergt er in seinem Kellerverlies nicht jenes Gerümpel alter Radiogeräte, Spulen, Kondensatoren, Röhren, Isolatoren, Kupferdrähte, die dort durcheinander liegen wie die Überreste ausgeweideter Tiere. Dafür enthält er zahllose Relikte wichtiger und unwichtiger Ereignisse, schemenhafte Reminiszenzen an Gesichter und Wolken, an Horizonte, hinter denen ein Unwetter aufzieht, Echos von Eindrücken, Berührungen, die man kaum voneinander unterscheiden kann. Mir scheint übrigens, dass die unwichtigen Erinnerungen oft deutlicher sind als die wichtigen. Auch mein Turm hat Risse, auch er ist vom Ein