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Caspar

Roman
ISBN/EAN: 9783312003679
Umbreit-Nr.: 1793048

Sprache: Deutsch
Umfang: 189 S.
Format in cm: 2 x 21 x 13.2
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 08.08.2005
€ 17,90
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Der kleine Caspar Schwartz wird von seinen Eltern in einem Gasthaus bei Exenheim in Württemberg ausgesetzt. Beate Rothmaier schildert das historisch verbürgte Schicksal Caspars als Findelkind, seine Lehrjahre als Bauernknecht und Lehrling in einer Porzellanfabrik, sowie die Suche nach seiner Herkunft mit mitreißender Sprachkraft, archaischer Derbheit und Witz.
  • Autorenportrait
    • Beate Rothmaier, geboren 1962 in Ellwangen/Jagst, studierte in München und Tübingen Germanistik und Romanistik, unterrichtete Deutsch an einem Lycée in Frankreich, arbeitete für verschiedene Verlage und als Texterin in einer Werbeagentur. Heute lebt sie als Autorin in Zürich.
  • Schlagzeile
    • "Das eigenwilligste Debüt des Jahres." Raoul Schrott
  • Leseprobe
    • Sie gingen langsam, alle drei, setzten einen Fuß vor den andern, den vierten Tag ohne Pause. Schweigen. Sommerhitze. Caspar wusste nicht, warum keiner was sagte. Er hatte einen Stecken gefunden, schwang ihn als Wanderstab, schlug die Farnwedel am Wegrand. Grüne Blattfetzen flogen durch die Luft. Er blieb stehen und haute die Wedel um, als wären sie Soldaten auf dem Schlachtfeld. Sie fielen hin und regten sich nicht mehr. Die Mutter rief nach ihm, doch er warf sich in die Lücke, die er ins Grün gehauen hatte, und spähte zwischen den Stengeln hindurch. Der Sauer ging einfach weiter. Hoch trug er den Kopf und warf die fatzengeraden Beine nach vorn. Seine blonden Locken unter dem Dreispitz wippten in der Mittagssonne, die Strumpfsocken waren ordentlich unter den Bünden der Hosenbeine festgezurrt und sahen aus der Entfernung fast weiß aus. Jetzt blieb der Stiefvater stehen, doch er blickte nicht zurück. Er stand still, atmete tief und sah die Straße hinab. Er schaute in die Richtung, in die er schnell gehen wollte. Er schaute und rührte sich nicht. Nur sein Rücken bewegte sich. Paula stand zwischen ihnen beiden und sah von einem zum andern. Caspar hielt den Atem an. Dann kam seine Mutter zu ihm und ließ sich neben ihn fallen. Der Junge atmete aus. Paula seufzte und warf die Arme über den Kopf. Dunkle Flecken hatten sich unter ihren Achseln ausgebreitet. Sie roch nach Herbstregen und Pilzen, obwohl jetzt Sommer war und die Sonne brannte. Sie waren auf der Reise, und Caspar wusste nicht, wohin noch warum. »Ah.« Schnell hob und senkte sich ihre Brust, während sie die Schuhe von sich warf, die Röcke über die Knie zog, sich damit Luft zufächelte und die Augen schloss. Eine schwarze Strähne klebte an ihrer Wange, ein Lächeln huschte vom Mundwinkel zu den Wimpern, sie schürzte die Lippen. Aus der Tiefe ihrer Röcke zauberte sie einen Frühapfel hervor, biss hinein, dass der Saft spritzte, biss ein Stück heraus und gab es Caspar. Sie kauten. »Frau, steh auf, wir müssen weiter.« Paula lächelte breiter und spuckte ein Stück vom Kernhaus ins Gras. »Frau!« Der Sauer rief zum zweiten Mal. Keinen Schritt würde er zurückgehen. Paula setzte sich auf. Ihre schwarzen Augen blitzten. »Wir müssen uns ein wenig ausruhen.« Sie sprach zwischen den Apfelstücken hindurch, kaute weiter, ließ sich wieder nach hinten fallen. Der Sauer drehte sich nicht um. Er blickte die Straße hinab, die er gehen wollte, die er schnell gehen wollte, an deren Ende Anspach liegt. Anspach, seine Heimatstadt. Anspach, wo man auf ihn wartet. Doch sein Weib will im Straßengraben liegen, will ausruhen, will mit langen Zähnen in einen Apfel beißen, wird am Ende dem Jungen das Ziel ihrer Reise verraten. Anspach. Sauer ging noch zwei Schritte, setzte sich an den Straßenrand, die Füße Richtung Heimat, den runden Rücken Richtung Frau und Kind. Caspar legte den Kopf auf den Bauch seiner Mutter und hörte, wie die Apfelstücke hineinfielen. Ein Rumpeln, Gurgeln, Rauschen. Leise Hilferufe gelangten an sein Ohr. Er grub das Gesicht in ihren Schoß, biss in ihren Bauch, musste den armen Apfel retten, der ins Fegefeuer gefallen war und dort verbrannte. Paula steckte zehn Finger in Caspars struppiges Haar und rüttelte ihn wie einen jungen Hund. Dann ließ sie ihre Finger seinen Rücken hinunterkrabbeln, bis er den Kopf in den Nacken warf, den Mund weit öffnete, die auseinander stehenden Milchzähne zeigte und kreischend lachte. Und lachte. »Jetzt reichts!« Der Sauer erhob sich, senkte das Kinn, schritt eilig zu den beiden, zählte laut die Schritte, die er auf dem einmal gemachten Weg zurückgehen musste. Wegen ihr. Wegen ihrem Kind. Diesem Balg. Er packte den Jungen am Arm und riss ihn in die Höhe. Die Beine des Kindes knickten weg, schlaff wie eine Puppe hing er am Arm des Stiefvaters, versuchte die Knie durchzudrücken, fand ein wenig Stand auf den Zehen, sah die Hand nicht herabfallen, denn sie kam schnell, spürte nur das Knallen im Ohr, den Feuerwall im Gesicht. Großer Lärm: Knallen, Rauschen,