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Die Brüder Boateng

Drei deutsche Karrieren
ISBN/EAN: 9783608503081
Umbreit-Nr.: 1394820

Sprache: Deutsch
Umfang: 272 S.
Format in cm: 2.6 x 21.5 x 13.7
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 13.04.2012
Auflage: 1/2012
€ 19,00
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Drei Brüder, zwei Mütter, ein Vater, ein Ziel: Fußballprofi zu werden. George, der älteste, hat es nicht geschafft. Heute züchtet er Hunde und macht Musik. Kevin hat bei der WM 2010 für Ghana gespielt und trumpft nun bei AC Mailand auf. Bei Jérôme, so scheint es, lief alles nach Plan. Er verteidigt für den FC Bayern und die deutsche Nationalmannschaft. Das Buch erzählt vom Aufwachsen in zwei grundverschiedenen Stadtteilen, von Unterstützung und Vernachlässigung in Familie, Schule und Fußballverein, vom Aufstieg im Profifußball bis hin zu den Spitzenklubs und von Integration und Ausgrenzung. Die Geschichte beginnt im Berliner Wedding in einem Fußballkäfig am Panke-Kanal. Hier sind George (geboren 1982) und Kevin (geboren 1987) aufgewachsen, hier hat auch ihr Halbbruder Jérôme aus Berlin-Wilmersdorf (geboren 1988) das Fußballspielen gelernt. Doch es geht in diesem Buch um mehr als um Fußball und das Spiel mit und ohne Ball. Es geht um Väter und Söhne, um den abwesenden Vater, den afrikanischen Vater und deutschen Rassismus. Es geht um Schule und Ausbildung, um Familie und Vernachlässigung, um Lehrer und Trainer, um männliche Bezugspersonen. Es geht um Ehrgeiz und den Willen zum Erfolg, ums Kämpfen und Aufgeben, ums Hinfallen und Wiederaufstehen und um ein berühmtes Foul.
  • Kurztext
    • Drei Brüder, zwei Mütter, ein Vater, ein Ziel: Fußballprofi zu werden. George, der älteste, hat es nicht geschafft. Heute züchtet er Hunde und macht Musik. Kevin hat bei der WM 2010 für Ghana gespielt und trumpft nun bei AC Mailand auf. Bei Jérôme, so scheint es, lief alles nach Plan. Er verteidigt für den FC Bayern und die deutsche Nationalmannschaft. Das Buch erzählt vom Aufwachsen in zwei grundverschiedenen Stadtteilen, von Unterstützung und Vernachlässigung in Familie, Schule und Fußballverein, vom Aufstieg im Profifußball bis hin zu den Spitzenklubs und von Integration und Ausgrenzung.
  • Autorenportrait
    • Michael Horeni geboren 1965, hat in Frankfurt Politologie studiert. Seit 1989 ist er in der Sportredaktion der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung', seit 2008 als Sport-Korrespondent in Berlin. Wie wenige andere blickt er hinter die Kulissen der deutschen Fußballwelt und ihrer Strippenzieher.
  • Schlagzeile
    • 'Kevin hatte es viel schwerer als ich. Im Wedding aufzuwachsen ist anders als in Wilmersdorf.' Jérôme Boateng
  • Leseprobe
    • Wo alles begann: Der Käfig an der Panke Langsam nähert sich der schwarze Mercedes dem Ende der Sackgasse. So ein Wagen verirrt sich nicht oft in diese Gegend. Als Kind hatte George Boateng immer von so einem Schlitten geträumt, aber noch viel mehr davon, irgendwie aus diesem verfluchten Viertel rauszukommen. Er hätte alles dafür gegeben, und in gewisser Weise hat er das auch getan. Der Mercedes schluckt die letzten Schläge des Kopfsteinpflasters, dann hält er zwischen einer Werkstatt, in der kein Auto repariert wird, und einem Spielplatz, auf dem kein Kind spielt. Hinter Kletterpflanzen verborgen liegt ein verlassener Fußballkäfig. George Boateng steigt aus und befreit seine Tochter von dem Sicherheitsgurt des Kindersitzes. Er nimmt das zweijährige Mädchen an die Hand und hilft ihm die Treppe zur Rutsche hoch. Doch bevor Rojda rutschen darf, kontrolliert George schnell noch den Spielplatz. 'JunkieSpieplatz', sagt er. Aber er findet nichts, was seine Tochter gefährden könnte. Dann darf Rojda rutschen. Es ist ein kühler Mittag im Sommer 2011, als George mit seiner Tochter in den Berliner Wedding zurückkehrt, zum Fußballkäfig an der Panke. Vor dem Käfig wartet er auf seinen jüngsten Bruder. Jérôme kommt wieder von der anderen Seite, so wie früher, als er an der Pankstraße aus der U-Bahn stieg, die Badstraße entlangrannte, durch das eiserne Tor in den kleinen Park einbog, um dort dann mit seinen beiden Brüdern und einem Ball hinter den Gitterstäben zu verschwinden. In der Enge des Käfigs gerieten die drei aneinander wie alle in diesem Viertel, aber noch mehr fanden sie zueinander. Der Käfig, das spürten sie, machte sie wirklich zu Brüdern. So wurde der Platz hinter den Gitterstäben groß genug, um darin eine Jugend zu verbringen. Doch die drei Brüder liebten diesen Käfig auch, weil die Welt um sie herum nicht durch die Gitter zu ihnen drang. Um so lange wie möglich zusammenzubleiben, haben die Brüder manchmal von den Baustellen in der Nähe große Lampen rangeschleppt und sie in die Ecken gestellt. Mit dem geklauten Flutlicht konnten sie auch nach Anbruch der Dunkelheit spielen, oft blieben sie bis nach Mitternacht zusammen. Niemand konnte sie aus dem Käfig vertreiben, auch nicht der Regen. Wenn es so schüttete, dass der Platz unter Wasser stand und der vollgesogene, bleischwere Ball in den Pfützen liegen blieb, holten sie aus der Werkstatt einen Besen und kehrten die Pfützen weg. 'Wir wollten im Käfig immer so lange bleiben, wie es ging', sagt George Boateng, 'wir wollten nicht nach Hause.' Im Käfig spürten George, Kevin und Jérôme wie nirgendwo sonst, dass sie Brüder sind - von einem gemeinsamen Vater, aber von zwei verschiedenen Müttern. George und Kevin lebten mit ihrer Mutter um die Ecke im Wedding, Jérôme bei seiner Mutter in Wilmersdorf, und das heißt: Sie lebten in verschiedenen Welten. Das tun sie auch heute - in Berlin, Mailand und München. Doch manchmal ist es so, als werfe der verlassene Käfig im Wedding lange Schatten, ganz so wie die Gitterstäbe in der Abendsonne an der Panke, wenn es dort am schönsten war. Der Käfig war ihr gemeinsames Leben, einem Bindemittel gleich, das stärker schien als alle Unterschiede, die sie mit auf diesen harten Platz brachten, stärker auch als alle Schwierigkeiten, die sie schon als Kinder mit sich herumschleppten. Kevin und Jérôme hat der Käfig zu Fußballmillionären gemacht und zu internationalen Spitzenklubs geführt, dem AC Mailand und dem deutschen Rekordmeister FC Bayern München. Auf diesem Weg ist für alle Brüder etwas abgefallen, auch für George, der es nicht geschafft hat, sein ebenso großes Talent aus dem Käfig in die Welt hinauszutragen, der sich nie aus dem Wedding freigespielt hat und ohne Schulabschluss und Perspektive einfach hängen blieb in dieser Sackgasse, wie so viele Jungs hier. Er landete schließlich im Gefängnis, verstand das als letzte Warnung und entschloss sich dann, Hunde zu züchten. Denn sonst ging nicht mehr viel. George läuft im Park einem alten Kumpel über den Weg, Kaan, einem Türken in seinem Alter, er macht jetzt irgendwas mit Autos. Kaan trägt eine kurze Adidashose und Badelatschen, als würde er nach einem Spiel in der Kabine stehen und gleich unter die Dusche gehen. Aber er führt nur seinen Hund aus, eine kleine weiße Promenadenmischung. George und Kaan klatschen sich zur Begrüßung ab. Sie haben sich lange nicht gesehen, aber die gemeinsamen Erinnerungen sind stark, stärker als die Jahre, die dazwischen liegen. 'Viele sagen, dass sie die Boatengs kennen, aber Kaan kennt uns wirklich', sagt George. Die beiden Familien gehörten zu den ersten, die in den Neunzigerjahren hier in die Neubauten um die Ecke gezogen sind. Damals waren das begehrte Wohnungen, die Stadt hatte sich vorgenommen, etwas aus der miesen Ecke zu machen. Aber das hat dann doch nicht geklappt, genau wie bei so vielen Leuten hier, die sich mal was vorgenommen hatten, wo dann aber doch immer was dazwischen kam. Kevin kommt an diesem Tag nicht zurück zum Käfig. Den Kontakt mit seinem ältesten Bruder George hat er seit ein paar Jahren immer wieder unterbrochen, und nach der Weltmeisterschaft in Südafrika wollte er bald auch von Jérôme nichts mehr wissen. Jérôme weiß nicht, warum das so gekommen ist. Fast ein Jahr meldete sich Kevin nach der Weltmeisterschaft nicht, aber dann rief er plötzlich wieder an und sagte, er werde ihm bald alles erklären, denn immer wieder muss etwas geklärt werden zwischen den Brüdern. Als Kinder konnten sich Kaan, Kevin und George vom Balkon aus zuwinken. Kaan spielte fünf, sechs Jahre mit Kevin in einer Mannschaft, bei Hertha BSC Berlin und davor bei den Reinickendorfer Füchsen. Auch Kaan war ein großes Fußballtalent, aber er brach sich viermal den Fuß, da war er noch nicht einmal 18 Jahre alt, und irgendwann brach bei all den Rückschlägen auch sein Wille. Kaan kehrt immer wieder an die Panke zurück, früher mit einem Ball unter dem Arm und großen Hoffnungen in seinem Kopf, heute kommt er mit seinem Hund und den Erinnerungen an einen unerfüllten Traum zum Fußballkäfig. 'Wenigstens einer von uns hat es geschafft. Aber wenn ich daran denke, was bei mir aus dem Fußball hätte werden können, kommen mir heute noch die Tränen', sagt er. Es ist, als fiele mit der Karriere von Kevin, dem Jungen vom anderen Balkon, der es in diesen Sommertagen des Jahres 2011 gerade mit dem AC Mailand zum italienischen Meister gebracht hat, ein Teil des Ruhms auch auf ihn zurück. Das ist schon was in diesem verlorenen Viertel, findet Kaan. Aber er spricht nur von den Erfolgen Kevins, nicht von Jérômes Aufstieg, der doch auch jahrelang im Käfig spielte, aber eben nicht mit ihnen im Wedding lebte. Dann geht Kaan mit seinem Hund wieder nach Hause, vorbei am schwarzen Mercedes von George, den er nicht ansieht. Jérôme steuert eine Holzbank an, von der man einen schönen Blick in den Park hat. Man schaut von dort auf ein sorgfältig restauriertes Vestibülgebäude, die Bibliothek am Luisenbad, ein früheres Kurhaus, kurz vor der Jahrhundertwende erbaut im Stil der Pariser Oper. Ein kleines Juwel, das man hier nicht erwartet. Jérôme, Kevin und George waren früher auch oft in der Bibliothek, aber nur, um aufs Klo zu gehen. George möchte sich nicht auf die Bank setzen, die Jérôme ausgesucht hat. Er trägt seine Tochter auf dem Arm und sagt kopfschüttelnd: 'Da sind immer die Alkoholiker.' George sagt das so, als fürchte er, der schlechte Einfluss der Gegend könne sich übertragen wie eine ansteckende Krankheit. So wie früher bei ihm und Kevin, die hier gemeinsam in einem Zimmer aufgewachsen sind, mit drei weiteren Geschwistern und ihrer Mutter. Aber ohne Vater und ohne Geld. George geht weiter. Jérôme folgt seinem ältesten Bruder schweigend. Er ist früher auch oft hier gewesen, vor allem am Wochenende und in den Ferien, aber er war hier nur zu Besuch, das war etwas ganz anderes, als hier groß zu werden. Abends fuhr Jérôme wieder zurück zu seiner Mutter nach Wilmersdorf, wo er nach ein paar U-Bahn-Statio...