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Terrorismus in der Bundesrepublik

Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Campus Historische Studien 40, Campus Historische Studien 42
ISBN/EAN: 9783593380377
Umbreit-Nr.: 1644730

Sprache: Deutsch
Umfang: 408 S.
Format in cm: 2.4 x 21.4 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 12.06.2006
Auflage: 1/2006
€ 42,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • InhaltsangabeVorwort Einleitung: Die Herausforderung des "Linksterrorismus" Klaus Weinhauer / Jörg Requate Politische Gewalt und Terrorismus: Eine vergleichende und soziologische Perspektive Donatella della Porta Politische Gewalt und Terrorismus: Einige historiographische Anmerkungen HeinzGerhard Haupt Subkulturen und Entstehungsmilieus Ästhetik des Andersseins: Subkulturen zwischen Hedonismus und Militanz 1965-1970 Detlef Siegfried Tupamaros München: "Bewaffneter Kampf", Subkultur und Polizei 1969-1971 Michael Sturm Psychiatrie und Politik: Zum Sozialistischen Patientenkollektiv in Heidelberg Cornelia Brink Jenseits von Terror und Rückzug: Die Suche nach politischem Spielraum und Strategien im Westdeutschland der siebziger Jahre Belinda Davis Staatsgewalt und Innere Sicherheit Der Wandel staatlicher Herrschaft in den 1960er/70er Jahren Stephan Scheiper "Verführt" "abhängig" "fanatisch": Erklärungsmuster von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten für den Weg in die Illegalität - Das Beispiel der RAF und der Bewegung 2. Juni (1971-1973) Gisela Diewald-Kerkmann Zwischen "Partisanenkampf" und "Kommissar Computer": Polizei und Linksterrorismus in der Bundesrepublik bis Anfang der 1980er Jahre Klaus Weinhauer "Terroristenanwälte" und Rechtsstaat: Zur Auseinandersetzung um die Rolle der Verteidiger in den Terroristenverfahren der 1970er Jahre Jörg Requate Medien Terrorismus im ö.entlichen Diskurs der BRD: Seine Deutung als Kriegsgeschehen und die Folgen Andreas Musol. Der "Sympathisanten"-Diskurs im Deutschen Herbst Hanno Balz Terrorismus als Medienereignis im Herbst 1977: Strategien, Dynamiken, Darstellungen, Deutungen Martin Steinseifer Terrorismus im Film der 70er Jahre: Über die Schwierigkeiten deutscher Filmemacher beim Umgang mit der realen Gegenwart Walter Uka Anhang Autorinnen und Autoren Personenregister
  • Schlagzeile
    • Campus Historische Studien Herausgegeben von Rebekka Habermas, Heinz-Gerhard Haupt, Frank Rexroth, Michael Wildt und Aloys Winterling
  • Leseprobe
    • In den langen sechziger Jahren nahm die Zahl der jugendlichen Subkulturen und der an ihnen beteiligten Individuen enorm zu. Ganz ähnlich wie "Halbstarke" oder "Exis" in den fünfziger Jahren zeichneten sie sich dadurch aus, dass sie "anders sein" wollten als die angenommene Mehrheit der Gesellschaft. Anderssein war kein revolutionärer Akt im traditionellen Verständnis, kein eruptiver Versuch, die herrschenden ökonomischen oder politischen Verhältnisse umzustürzen. Vielmehr handelte es sich um eine eigentlich unspektakuläre Teildistanzierung, ein begrenztes Ausscheren aus dem gerade neu stabilisierten und daher besonders rigiden kulturellen Normensystem der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, das nur von manchen Gruppen extrem radikalisiert wurde. Seit der Mitte der fünfziger Jahre boten zunehmender Reichtum, kulturelle Ausdifferenzierung und Medialisierung immer mehr Stile, Orte und Kommunikationskanäle - eine Infrastruktur, in der Anderssein nicht nur postuliert, sondern auch praktiziert werden konnte, zumindest jenseits der Sphäre von Arbeit und Schule, später auch innerhalb dieser zentralen Sphären bürgerlicher Sozialisation und Lebensführung. Besonders unter jungen Intellektuellen, wo Individualismus als Tugend galt, wurde die Distanzierung von den kulturellen Vorlieben der breiten Masse bereits in den fünfziger Jahren in auffallender Weise gepflegt. Zum Idealtypus wurde der "Existentialist", der zwar nicht unbedingt als reale Figur weit verbreitet war, aber doch wesentliche Elemente des individualistischen Selbstbildes verkörperte. Zeitschriften wie Konkret oder Twen waren erfolgreich, weil sie sich als Medien für Nonkonformisten präsentierten, Stilelemente des Andersseins kommunizierten und popularisierten. Schon am Ende der fünfziger Jahre wurde im Twen der "Außenseiter" als "Ideal" der Zwanzigjährigen beschrieben - ihn zeichnete ein "antibürgerlicher Sinn" aus. In der Erfolgsgeschichte der Außenseiterkonzepte (und der sie vertretenden Zeitschriften) wurde deutlich, dass das mühsam auf ein autoritatives Niveau gebrachte westdeutsche Normensystem im Differenzierungsprozess der Gesellschaft seine Verbindlichkeit schnell wieder einbüßte. Tatsächlich waren derartige Distanzierungsbewegungen an den kulturellen und sozialen Rändern der Gesellschaft lediglich die auffälligsten Merkmale einer Individualisierungstendenz, die die gesamte Gesellschaft erfasste. Teil eines Großtrends zu sein, widersprach freilich den Intentionen der intellektuellen Vordenker. Massenhafte Individualität war ein Widerspruch in sich, Anderssein ein dezidiert elitäres Konzept, mit dem sich seine Protagonisten von einer vermeintlich konformen Masse abheben wollten. Allerdings gab es viele Formen, in denen man "anders sein" konnte. In den von einer "neuen Sensibilität" geprägten sechziger Jahren kamen "emotional" grundierte Subkulturen, wie sie sich teilweise schon in den Rock-and-Roll-Krawallen in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre angekündigt hatten, zu völlig neuer Bedeutung. Sie stießen auf Kritik bei vornehmlich intellektuell geprägten, "rationalistischen" Subkulturen, die in der ästhetischen Form kein revolutionäres Element zu erkennen vermochten. Vor allem im SDS wurde, gestützt auf Adorno, immer wieder der coole Habitus der Roth-Händle rauchenden Jazz- und Beat-Adepten kritisiert, die in den Kellerclubs hockten, lange Haare trugen, Konkret lasen und vielleicht sogar Mitglied des SDS wurden, um sich durch Außenseitertum als Individualisten zu kreieren - aber dadurch letztlich nur mehr demonstrierten, dass ihr ästhetischer Protest geringe Reichweite hatte und jedenfalls die Machtverhältnisse in der Gesellschaft nicht tangierte. Hinzu kam, dass derartiger Protesthabitus von der Konsumindustrie aufgegriffen und popularisiert wurde. Nonkonformistische Ästhetik war integrierbar - dagegen halfen nur Bewusstseinsbildung und politische Aktion. Im Laufe der sechziger Jahre, als eine Ästhetik des Andersseins immer größere Massen von Jugendlichen anzog, gewannen diese beiden Elemente stark an Bedeutung. Theoretische Arbeit und politische Aktion - vor allem ihre konsequente Handhabung - unterschieden die politisch motivierten Gruppen von einer größeren Masse, die nicht nur lange Haare trug und die Rolling Stones hörte, sondern sich auch stärker als zuvor politisch informierte und betätigte. Als der politische Bewusstseinsstand und die Aktionsbereitschaft insgesamt zunahmen, konnte sich eine Avantgarde nur durch besonders entschlossene Aktivitäten exponieren.