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Diskursanalyse meets Gouvernementalitätsforschung

Perspektiven auf das Verhältnis von Subjekt, Sprache, Macht und Wissen
ISBN/EAN: 9783593389479
Umbreit-Nr.: 1154044

Sprache: Deutsch
Umfang: 341 S.
Format in cm: 2 x 21.4 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 04.10.2010
Auflage: 1/2010
€ 39,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Diskursanalysen und Gouvernementalitätsstudien werden in den Sozialwissenschaften viel und breit diskutiert, stehen aber trotz ihrer gemeinsamen Referenz auf das Werk Michel Foucaults weitgehend unverbunden nebeneinander. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes erkunden gemeinsame Forschungsfelder, diskutieren die theoretische, methodische und politische Anschlussfähigkeit beider Perspektiven und zeigen auf, wie fruchtbar ein Austausch zwischen Diskurs- und Gouvernementalitätsforschung sein kann.
  • Kurztext
    • Diskursanalysen und Gouvernementalitätsstudien werden in den Sozialwissenschaften viel und breit diskutiert, stehen aber trotz ihrer gemeinsamen Referenz auf das Werk Michel Foucaults weitgehend unverbunden nebeneinander. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes erkunden gemeinsame Forschungsfelder, diskutieren die theoretische, methodische und politische Anschlussfähigkeit beider Perspektiven und zeigen auf, wie fruchtbar ein Austausch zwischen Diskurs- und Gouvernementalitätsforschung sein kann.
  • Autorenportrait
    • Johannes Angermüller ist Professor of Discourse, Languages and Applied Linguistics an der Open University, UK. Silke van Dyk ist Professorin für Politische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
  • Leseprobe
    • Diskursanalyse meets Gouvernementalitätsforschung Zur Einführung Silke van Dyk und Johannes Angermüller Der Gegenstand der Sozialwissenschaften ist bekanntlich die Gesellschaft, die ihrer selbstverständlichen Allgegenwärtigkeit zum Trotz eine historisch vergleichsweise neue Erfindung darstellt. So werden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts angesichts von Nationalstaatsbildung und Industrialisierung die sozialen Kräfte zum Thema, die gleichsam hinter dem Rücken der Individuen wirken. In diesem historischen Kontext etabliert sich die Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft, die danach fragt, wie soziale Akteure Gesellschaft konstituieren und zugleich von dieser hervorgebracht werden. Konnten klassische Soziologen wie Durkheim und Weber noch unterschiedlichste Bereiche wie etwa Politik und Wirtschaft, Kommunikation und Kultur ohne größere Schwierigkeiten im Rahmen einer Wissenschaft der Gesellschaft abhandeln, scheint die Gewissheit, mit der diese Teilbereiche unter dem Schirm eines großen gesellschaftlichen Ganzen geführt werden, in jüngerer Zeit zu erodieren. An die Stelle der Frage, was die Gesellschaft ist, tritt die Frage, wie die Idee der Gesellschaft selbst hervorgebracht wird. Als historisch-semantische Figur wird "Gesellschaft" nun mehr und mehr selbst zu einem Problem - einem Problem, das zu einem Gegenstand neuer trans- und interdisziplinärer Debatten und Forschungsfelder geworden ist. Zwei Felder, in denen die Gesellschaft derart zum "Problem" gewendet wird, haben in jüngerer Zeit besonders viel Aufmerksamkeit erfahren: die Diskurs- und die Gouvernementalitätsforschung, die im Zentrum dieses Bandes stehen. Diskursanalyse und Gouvernementalitätsforschung werden oft in einem Atemzug genannt, gehen beide doch auf Arbeiten eines Intellektuellen zurück, der sich einer klaren disziplinären Einordnung entzieht: Michel Foucault. Foucault ist ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Pionier in dem vielfach ausgefächerten Feld der Diskursanalyse, das die kommunikative Dimension der Vergesellschaftung zum Thema macht. Die Diskursanalyse untersucht die soziale Produktion von Sinn, und zwar ganz gleich ob aus poststrukturalistischer, wissenssoziologischer oder gesprächsanalytischer Sicht. Ihr Gegenstand sind situationsübergreifende Sinn- oder Wissenszusammenhänge, die auf unterschiedlichste Weise - zum Beispiel in mikro- oder makroanalytischer Hinsicht, mit qualitativen wie quantitativen Methoden - untersucht werden können. Schriftliche Texte spielen dabei gewöhnlich eine besondere Rolle. Diese Texte haben, so die übergreifende Annahme, keinen festen Sinn, können aber mit Blick auf die Regeln ihres Gebrauchs und ihrer Interpretation analysiert werden. So können Texte je nach institutionellem Setting, historischem Kontext und den beteiligten Sprechern einen unterschiedlichen Sinn erhalten. Doch während vieles gesagt, geschrieben, gedacht und getan werden kann, findet nicht alles Gehör und noch weniger erfährt alles Anerkennung. Vor diesem Hinter-grund fokussieren Diskursanalysen im Anschluss an Foucault insbesondere auf die Verschränkung von Macht und Wissen im Prozess der Sinn- bzw. Wahrheitsproduktion. Als Diskursanalytiker begreift sich Foucault vor allem in seiner archäologischen Periode Ende der 1960er Jahre, als er historische Formationen des Sag- und Denkbaren zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht. So definiert er in der Archäologie des Wissens (1994[1969]) die "Aussa-ge" als eine Grundeinheit des Diskurses, die er in ihren historischen Äuße-rungsmodalitäten und institutionellen Einbettungen theoretisiert. Neben den diskurstheoretischen Arbeiten aus den 1960er Jahren spielen für die Diskursforschung im Anschluss an Foucault auch seine genealogischen Arbeiten der 1970er Jahre eine zentrale Rolle, in denen er sich grundsätzlicher als zuvor der Problematik der Macht zuwendet. In seinen machttheoretischen Arbeiten insistiert Foucault auf die produktive, nicht-repressive Funktionsweise von Macht, deren kapillaren Verästelungen er an unterschiedlichen gesellschaftlichen Orten und Bereichen nachgeht, so etwa in Disziplinaranstalten wie dem Militär, der Schule und dem Gefängnis, aber auch im Feld der Sexualität. Er wendet sich dabei gegen ein "Nullsummenverständnis" von Macht, das in schematischer Gegenüberstellung Herrschende gegen Beherrschte ins Feld führt und konzentriert sich stattdessen auf die Frage, wie Wissen in konkreten institutionellen Kontexten zu Wahrheit wird. Die von Foucault veröffentlichten Schriften zur Machtanalytik fokussieren auf den weiten, oft eher diffusen Bereich sozialer Praktiken der Machtausübung, weshalb bisweilen eingewandt wurde, Foucaults Machttheorie tendiere dazu, sehr unterschiedliche soziale Beziehungen unter einen pauschalen Machtverdacht zu stellen. Demgegenüber formuliert er in den posthum veröffentlichten Vorlesungen zur Gouvernementalität von 1977 bis 1979 einen theoretischen Rahmen, der staatliche und nicht-staatliche Formen der Macht differenziert und in einen systematischeren Zusammenhang bringt (Foucault 2004a, 2004b). In seinen Analysen zu (neuen) Formen des Regierens als politischer Steuerung menschlichen Verhaltens nimmt Foucault verstärkt auch Praktiken und Technologien des Selbst in den Blick, so dass die Gouvernementalitätsperspektive als Scharnier im Dreieck von Macht, Wissen und Subjektivität operiert. Durch alle Phasen und Perioden des Foucault'schen Werkes zieht sich dabei die Frage, auf welche Weise, unter welchen Bedingungen und mittels welcher Mechanismen und Technologien sich "Ordnungen des Wahren" konstituieren, die zur Grundlage dessen werden, was seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als moderne Gesellschaft begriffen wird. Während die Diskursanalyse vor allem im Kontext der interpretativen Sozial- und Geschichtswissenschaften und der (sozialwissenschaftlichen) Sprachwissenschaften beheimatet ist, haben sich die Gouvernementalitätsstudien eher in der im weiteren Sinne politischen Soziologie sowie den kulturwissenschaftlichen Politik- und Erziehungswissenschaften etabliert; mit zunehmender Verbreitung haben sich beide Forschungsperspektiven in den letzten Jahren zu transdisziplinären Forschungsfeldern gewandelt. Legt die Diskursanalyse den Fokus auf die kommunikativen Praktiken der Erzeugung sozialer Wirklichkeit, richten die Gouvernementalitätsstudien den Blick stärker auf die politische Konstitution des Sozialen. Der gouvernementalitätstheoretische Gegenstand sind politische Techniken und Rationalitäten der Menschenführung. Auf der Basis eines erweiterten Politikbegriffs geht es um Praktiken des Regierens im postdisziplinären Zeitalter, in dem die Beherrschung der Untertanen durch einen absoluten Souverän an Bedeutung verloren hat. Das Gouvernementalitätskonzept ist bei Foucault dabei sowohl als historisches als auch als methodologisches Konzept ange-legt: Zum einen dient es in historischer Hinsicht der Beschreibung einer spezifischen politisch-institutionellen Konstellation im 18. Jahrhundert: Gegenstand der Analyse ist die Entstehung eines liberalen Machtsystems, das die Bevölkerung - anders als im Feudalismus - als eine variable, ihre eigenen Potenziale entfaltende Ressource entdeckt und zum Gegenstand von Technologien der Regierung und Steuerung macht. Der historische Fokus liegt auf der Genese des modernen Staates und der Entstehung von Biopolitik als Regulierung der Bevölkerung mittels spezifischen Regie-rungswissens wie der Demographie oder der Versicherungsmathematik. Zum anderen dient das Gouvernementalitätskonzept aber auch als analyti-sches Schema, als Bezeichnung der "Art und Weise, mit der man das Ver-halten der Menschen steuert" (Foucault 2004b: 261). Die allgemeine Analy-tik der Gouvernementalität fokussiert auf Regierung als Strukturierung von Handlungsfeldern "freier" Subjekte und umreißt damit das Feld post-souveräner und post-disziplinärer, vereinfacht schließlich auch " neoliberal" genannter Regierungskunst. Diese Form der Regierung ist kei...