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Schulden

Die ersten 5000 Jahre
ISBN/EAN: 9783608947670
Umbreit-Nr.: 1461255

Sprache: Deutsch
Umfang: 536 S.
Format in cm: 4.6 x 23.3 x 16.5
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 10.12.2012
Auflage: 9/2021
€ 27,00
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Kurztext
    • Seit der Erfindung des Kredits vor 5000 Jahren treibt das Versprechen auf Rückzahlung Menschen in die Sklaverei. Die Geschichte der Menschheit erzählt David Graeber als eine Geschichte der Schulden: eines moralischen Prinzips, das nur die Macht der Herrschenden stützt. Damit durchbricht er die Logik des Kapitalismus und befreit unser Denken vom Primat der Ökonomie.
  • Autorenportrait
    • David Graeber (1961-2020) war Professor für Anthropologie an der London School of Economics und Autor der Weltbestseller 'Schulden', 'Bullshit Jobs' und 'Bürokratie' und Vordenker von 'Occupy Wall Street'. Völlig überraschend starb David Graeber am 2. September 2020 in Venedig. Sein letztes großes Werk 'Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit' erschien postum im Frühjahr 2022 bei Klett-Cotta.
  • Schlagzeile
    • Ein ebenso radikaler wie befreiender Blick auf die Wurzeln unserer Schuldenkrise
  • Leseprobe
    • 1 Über die Erfahrung der moralischen Verwirrung Schuld, die Substantiv 1. Ursache von etwas Unangenehmem, Bösem oder eines Unglücks, die Verantwortung dafür. 2. bestimmtes Verhalten, bestimmte Handlung, womit jmd. gegen sittliche Werte, Normen oder gegen die rechtliche Ordnung verstößt. 3. Geldbetrag, den jmd. einem anderen schuldig ist. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Wenn Sie der Bank hunderttausend Dollar schulden, gehören Sie der Bank. Wenn Sie der Bank hundert Millionen Dollar schulden, gehört die Bank Ihnen. Amerikanisches Sprichwort Vor zwei Jahren besuchte ich infolge einiger Zufälle eine Gartenparty in der Westminster Abbey. Ich fühlte mich ein bisschen unbehaglich. Die anderen Gäste waren durchaus freundlich und nett, und Pater Graeme, der die Party organisiert hatte, war ein durch und durch liebenswürdiger und charmanter Gastgeber. Aber ich kam mir ein wenig fehl am Platz vor. Irgendwann sprach mich Pater Graeme an: Da stehe jemand gleich neben dem Brunnen, mit dem ich mich sicher gern unterhalten würde. Wie sich herausstellte, war es eine schick gekleidete junge Frau, laut Auskunft des Paters eine Anwältin - 'aber eine von der engagierten Sorte. Sie arbeitet für eine Stiftung, die in London Gruppen juristisch berät, die gegen die Armut kämpfen. Sie beide haben sich wahrscheinlich viel zu erzählen.' Wir kamen ins Gespräch. Sie berichtete von ihrer Arbeit. Ich erzählte ihr, dass ich seit vielen Jahren in der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit aktiv war - bei den 'Globalisierungsgegnern', wie es üblicherweise in der Presse hieß. Das interessierte sie: Natürlich hatte sie viel über Seattle, Genua, über Tränengas und Straßenkämpfe gelesen, aber hatten wir denn mit all dem etwas erreicht? 'Ja sicher, es ist sogar erstaunlich, wie viel wir in diesen ersten Jahren erreicht haben', erwiderte ich. 'Zum Beispiel ?' 'Nun, zum Beispiel haben wir es beinahe geschafft, den IWF auszuschalten.' Zufällig wusste sie nicht, was der IWF ist, und ich erklärte ihr, dass der Internationale Währungsfonds als der Schuldeneintreiber der Welt fungiert: 'Man könnte sagen, er ist in der Hochfinanz das Äquivalent zu den Jungs, die kommen und einem die Beine brechen.' Ich ließ mich über den historischen Hintergrund aus, erklärte, wie die OPEC-Staaten während der Ölkrise in den 1970er Jahren so viel von ihren neu erworbenen Reichtümern an westliche Banken überwiesen, dass die Banken gar nicht wussten, wo sie das Geld investieren sollten; wie Citibank und Chase Manhattan Bank deshalb Vertreter in alle Welt aussandten, die Politiker und Diktatoren der Dritten Welt überreden sollten, Kredite aufzunehmen (damals hieß das 'Go-Go-Banking'); wie sie mit äußerst niedrigen Zinsen begannen, die aber dank der rigorosen Geldpolitik der Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren bald auf 20 Prozent und mehr in die Höhe schossen; wie das in den 1980er und 1990er Jahren zur Schuldenkrise der Dritten Welt führte; wie sich dann der IWF einschaltete und darauf beharrte, zur Refinanzierung müssten die armen Länder gezwungen werden, die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln aufzugeben oder sogar die Politik, strategische Lebensmittelreserven anzulegen sowie freie Gesundheitsversorgung und freie Bildung bereitzustellen; wie all dies damit endete, dass die ärmsten und am meisten gefährdeten Völker der Welt die grundlegende Unterstützung verloren hatten. Ich sprach von Armut, von der Ausplünderung öffentlicher Ressourcen, vom Zusammenbruch von Gesellschaften, von endemischer Gewalt, Mangelernährung, Hoffnungslosigkeit und zerstörten Leben. 'Aber wie war ihre Einstellung?', fragte die Anwältin. 'Zum IWF? Wir wollten ihn abschaffen.' 'Nein, ich meine, zu den Schulden der Dritten Welt.' 'Oh, die wollten wir auch abschaffen. Zunächst einmal wollten wir den IWF daran hindern, dass er weiter Strukturanpassungsprogramme verlangte, die unmittelbaren Schaden anrichteten, und das erreichten wir überraschend schnell. Langfristiges Ziel war der Schuldenerlass. So etwas wie der vollständige Ablass in der Kirche. Nach unserer Einschätzung reichte es, dass seit 30 Jahren Geld aus den ärmsten Ländern in die reichsten geflossen war.' 'Aber', wandte sie ein, als wäre das offensichtlich, 'sie hatten sich das Geld geliehen! Schulden muss man doch zurückzahlen.' An dieser Stelle wurde mir klar, dass das Gespräch ganz anders verlaufen würde, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Wo sollte ich anfangen? Ich hätte damit anfangen können zu erklären, wie diese Kredite ursprünglich von selbsternannten Diktatoren aufgenommen worden waren, die den größten Teil des Geldes direkt auf ihre Schweizer Bankkonten überwiesen, und ich hätte sie fragen können, ob sie es gerecht fand, wenn man darauf beharrte, dass die Gläubiger ihr Geld nicht von dem Diktator oder seinen Kumpanen zurückerhielten, sondern indem sie buchstäblich hungrigen Kindern das Essen wegnahmen. Oder denken wir nur daran, wie viele dieser armen Länder durch das Wunder des Zinseszinseffekts bis heute das Drei- oder Vierfache der geliehenen Summen zurückgezahlt haben, und trotzdem hat sich ihre Kreditsumme kaum verringert. Ich hatte auch beobachtet, dass es einen Unterschied zwischen der Refinanzierung von Krediten und der Forderung gab, dass Länder, um eine Refinanzierung zu bekommen, einen orthodox marktwirtschaftlichen Kurs verfolgen müssen, der in Washington oder Zürich beschlossen wurde und dem die Menschen in den betroffenen Ländern nie zugestimmt haben und nie zustimmen werden. Ebenso war es einigermaßen unehrlich, zu verlangen, dass diese Länder demokratische Institutionen bekommen sollten, und dann darauf zu beharren, dass die gewählten Politiker nicht über den politischen Kurs in den Ländern entscheiden dürften. Oder ich beobachtete, dass die vom IWF verordnete Wirtschaftspolitik nicht einmal funktionierte. Aber all dem lag ein grundsätzlicheres Problem zugrunde: die Voraussetzung, dass Schulden überhaupt zurückgezahlt werden müssen. Das Erstaunliche an dem Satz 'man muss seine Schulden zurückzahlen' ist, dass er nach der ökonomischen Standardtheorie nicht stimmt. Wer Geld verleiht, muss ein gewisses Risiko tragen. Wenn alle Kredite, egal wie idiotisch sie sind, immer einzutreiben wären - wenn es zum Beispiel kein Insolvenzrecht gäbe -, wären die Folgen katastrophal. Warum sollte ein Geldgeber nicht einen dummen Kredit vergeben? 'Nun, ich weiß, es klingt wie eine Selbstverständlichkeit', sagte ich, 'aber das Lustige ist, dass, ökonomisch gesehen, Darlehen nicht so funktionieren. Finanzinstitute sollen Ressourcen in profitable Investitionen lenken. Wenn eine Bank eine Garantie hätte, dass sie Geld plus Zinsen zurückbekommt, ganz gleich was sie tut, würde das gesamte System nicht funktionieren. Nehmen wir einmal an, ich gehe in die nächste Filiale der Royal Bank of Scotland und sage: Hören Sie, ich habe einen ganz tollen Tipp für das Pferderennen bekommen. Könnten Sie mir 2 Millionen Pfund leihen? Natürlich würden mich die Leute dort einfach auslachen. Denn sie wissen genau, dass sie ihr Geld nie wiedersehen, wenn mein Pferd nicht gewinnt. Stellen wir uns aber einmal vor, es gäbe ein Gesetz, das der Bank garantiert, dass sie ihr Geld unter allen Umständen zurückbekommt, selbst wenn es bedeuten würde, dass ich, sagen wir einmal, meine Tochter in die Sklaverei verkaufen oder meine Organe verscherbeln müsste oder etwas in der Art. Warum sollten sie mir dann das Geld nicht geben? Und lieber warten, bis jemand hereinspaziert, der einen realistischen Plan für einen Waschsalon oder dergleichen hat? Im Grunde ist genau das die Situation, die der IWF auf globaler Ebene geschaffen hat - auf diese Weise kriegt man alle Banken dazu, dass sie einer Bande offensichtlicher Gauner Milliarden von Dollar zuschieben.' Ich kam mit meinen Ausführungen nicht weiter, weil ungefähr an dieser Stelle ein betrunkener Banker auftauchte. Er hatte bemerkt, dass wir über Geld sprachen, und erzählte lustige Gesch...