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Kaisertum und Kalifat

eBook - Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter, Globalgeschichte
ISBN/EAN: 9783593432175
Umbreit-Nr.: 8303447

Sprache: Deutsch
Umfang: 645 S., 12.13 MB
Format in cm:
Einband: Keine Angabe

Erschienen am 17.08.2015
Auflage: 1/2015


E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen
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  • Zusatztext
    • »Trennung von Staat und Kirche im Okzident« versus »Verschmelzung von Politik und Religion in Byzanz und im Islam«: Mit diesen Attributen beschrieb man bislang häufig die globalgeschichtlichen Unterschiede zwischen Europa und dem Nahen Osten im Mittelalter. Almut Höfert wendet sich gegen diese tradierte Vorstellung. In einem Bogen von der Spätantike bis zum Hochmittelalter befasst sie sich mit der Frage, wie das moderne, eurozentristische Konzept von Religion auf vormoderne Verhältnisse angewendet werden kann. Ihre zentrale These lautet: Das römisch-byzantinische Kaisertum, das umayyadisch-abbasidische Kalifat sowie die karolingisch-ottonische Kaiserherrschaft und das Papsttum entwickelten das spätantike Herrschaftsprinzip des imperialen Monotheismus in verschiedenen, konfliktträchtigen Varianten weiter. Karl der Große erscheint in dieser Perspektive nicht als der Begründer eines einzigartigen Europas, sondern gemeinsam mit den Kalifen in der Tradition der Spätantike.
  • Kurztext
    • »Trennung von Staat und Kirche im Okzident« versus »Verschmelzung von Politik und Religion in Byzanz und im Islam«: Mit diesen Attributen beschrieb man bislang häufig die globalgeschichtlichen Unterschiede zwischen Europa und dem Nahen Osten im Mittelalter. Almut Höfert wendet sich gegen diese tradierte Vorstellung. In einem Bogen von der Spätantike bis zum Hochmittelalter befasst sie sich mit der Frage, wie das moderne, eurozentristische Konzept von Religion auf vormoderne Verhältnisse angewendet werden kann. Ihre zentrale These lautet: Das römisch-byzantinische Kaisertum, das umayyadisch-abbasidische Kalifat sowie die karolingisch-ottonische Kaiserherrschaft und das Papsttum entwickelten das spätantike Herrschaftsprinzip des imperialen Monotheismus in verschiedenen, konfliktträchtigen Varianten weiter. Karl der Große erscheint in dieser Perspektive nicht als der Begründer eines einzigartigen Europas, sondern gemeinsam mit den Kalifen in der Tradition der Spätantike.
  • Autorenportrait
    • Almut Höfert ist Professorin für Geschichte des Mittelalters an der Universität Oldenburg.
  • Leseprobe
    • 1.Einleitung<br/>1.1Das Thema der Untersuchung<br/>337 n. Chr., so berichten es die Quellen, nahm der Kaiser des römischen Reiches Konstantin I. auf seinem Sterbebett den christlichen Glauben an. Seit dieser Zeit war die römische Monarchie, die sich als Weltreich verstand und einen universalen Herrschaftsanspruch vertrat, mit dem christlichen Monotheismus verbunden, der - anders als der jüdische Monotheismus, aus dem das Christentum hervorgegangen war - ebenfalls nach einer universalen Verbreitung strebte. Der Kaiser des nunmehr christlichen Reiches galt als das Oberhaupt der christlichen Ökumene und hatte eine zentrale heilsrelevante Funktion inne. Die Verbindung von Monarchie und Monotheismus wurde heilsgeschichtlich gedeutet: Mit der Herrschaft eines Kaisers unter einem Gott seien Polyarchie und Polytheismus zu ihrem Ende gekommen, die christliche Ökumene unter einem Gott mit dem römischen Weltreich unter einem Kaiser in Einklang gebracht worden. Das römische Reich war zum Abbild des himmlischen Reiches geworden, in dem der Universalmonarch als Stellvertreter Gottes seine Untertanen für das göttliche Königtum bereit machte. Die christliche Spätantike hatte damit ein Herrschaftsmuster hervorgebracht, in dem vormalige Verbindungen von Religion und Weltreich in einer qualitativ neuen Form verdichtet wurden. Religion und imperiale Strukturen wurden nun untrennbar miteinander verschmolzen. Es galt das Prinzip: ein Gott, ein Kaiser, ein Weltreich, ein Glaube. Ebenso wie es nur einen Gott gab, konnte es nur ein Kaisertum (griech. basileia, lat. imperium) geben.<br/>Allerdings sollte die Einheit von imperium und ecclesia keinen dauerhaften Bestand haben. Auch wenn sich der Kaiser als victor omnium gentium (Sieger über alle Völker) feiern ließ, das Christentum unter der Stadtherrschaft der Bischöfe weiter Fuß fasste und Justinian I. im 6. Jahrhundert Teile des westlichen Reiches zeitweise wieder in den Reichsverbund zurückführte, ließ sich der Westen langfristig nicht halten. Im Zuge dieser Entwicklungen entstand ein zweites christliches Kaisertum. Als sich der fränkische König Karl der Große am Weihnachtstag 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser krönen ließ, wurde die vormalige Exklusivität des christlichen Kaisertums dauerhaft in Frage gestellt. Die Spannungen und Konflikte, die sich aus dieser Konstellation ergaben, bezeichnete die Forschung als "Zweikaiserproblem". Auch wenn sich Byzanz realpolitisch mit der Existenz eines zweiten Kaisers im Westen abfand, stand das Prinzip, dass es nur einen römischen Kaiser geben durfte, weiterhin im Raum. In der Kirchenpolitik kam es gleichfalls zu einer Zweiteilung. Die Bischöfe von Rom, die die lateinischen Kaiser krönten, beanspruchten als Päpste eine universale Führungsrolle und pochten auf den Primat des Patriarchates von Rom. 1054 kam es schließlich zum Schisma der Ost- und Westkirche. Die Existenz zweier Kaiser war also mit der Trennung des Christentums in zwei Hauptkonfessionen verbunden.<br/>Es ist auffällig, dass in der islamischen Welt ein paralleler Vorgang zu beobachten ist. Als die arabische Expansion über die arabische Halbinsel hinausgriff und die Umaiyadenkalifen 661 ihre Hauptresidenz in Damaskus mit christlichem Personal und griechischer Verwaltungssprache aufschlugen, übernahmen sie das spätantike Muster der Verbindung von Monotheismus und imperialen Strukturen. Die Kalifen sahen sich als Statthalter Gottes in der Nachfolge der monotheistischen Propheten unter der endgültigen Offenbarung des Korans als alleinige Garanten für den Bund Gottes mit den Gläubigen. Im jungen islamischen Reich galt daher gleichfalls grundsätzlich das spätantike reichsökumenische Prinzip, nach dem das Weltreich und die Heilsökumene als deckungsgleich verstanden wurden: ein Gott, ein Kalif, ein Weltreich, ein Glaube. Zwar akzeptierte die siegreiche, zahlenmäßig jedoch noch sehr kleine Erobererschicht, dass ein Großteil ihrer Untertanen einer anderen Buchreligion anhing, aber die islamische Expansion stand klar unter dem heilsgeschichtlichen Auftrag, dass die gesamte Ökumene unter der rechtgläubigen Herrschaft des muslimischen Kalifen zu stehen hatte. Das Kalifat war daher wie das Kaisertum prinzipiell exklusiv entworfen. Ebenso wie es nur einen Kaiser im christlichen Weltreich geben konnte, lag auch die Führung der muslimischen Reichsökumene in den Händen eines Kalifen. Die Frage, welcher Kreis von Anwärtern zum Universalmonarchen der muslimischen Reichsökumene berufen war, wurde in der zeittypischen Verbindung von theologischen Dogmen und politischen Interessen kontrovers ausgetragen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen kristallisierten sich ab dem 9. Jahrhundert die beiden großen Hauptkonfessionen der Sunniten und Schiiten heraus. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurde auch das islamische Abbasidenkalifat in Bagdad mit einem universalmonarchischen Gegenentwurf konfrontiert. 909 rief sich das Oberhaupt einer schiitischen Gemeinschaft im Maghreb unter dem Thronnamen al-Mahd? zum Kalifen aus und legte den Grundstein für das Fatimidenreich, das sich ab 969 in Kairo als mediterrane Großmacht etablierte. Mit ihrer Herrschaft im "schiitischen Jahrhundert" (ca. 950-1050), in dem vor den Eroberungen der sunnitischen Seldschuken eher die Schia als die Sunna auf dem Vormarsch zu sein schien, trugen die Fatimiden dazu bei, die beiden großen Hauptkonfessionen des Islams zu festigen.<br/>Mit dem lateinischen Kaisertum und dem fatimidischen Kalifat lagen im 10. Jahrhundert also zwei machtpolitisch erfolgreiche Gegenentwürfe zu den Universalmonarchien in Konstantinopel und Bagdad vor. Die spätantike monotheistische Universalmonarchie hatte sich damit in zwei Kaisertümern und zwei Kalifaten quasi symmetrisch entfaltet:<br/>Christliches oströmisch-byzantinisches Kaisertum (337-1453)<br/>Islamisches umaiyadisches (661-750) und (proto-) sunnitisches abbasidisches Kalifat (750-1258/1517/1924)<br/>Lateinisches Gegenkaisertum (800-1806)<br/>Schiitisches Gegenkalifat der Fatimiden (909-1171/bis heute als schiitisch-ismailitisches Imamat)<br/>Es ist bemerkenswert, dass sowohl in der christlichen als auch der muslimischen Ökumene die größte konfessionelle Trennlinie in zwei Hauptlager (griechisch-orthodox/lateinisch-katholisch und sunnitisch/schiitisch) durch eine jeweils zweifache Universalmonarchie begleitet wurde - ein Umstand, dem in der Forschung bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es ist darüber hinaus auffällig, dass alle vier Universalmonarchien - in welcher Form auch immer - eine Lebensdauer von mindestens einem Jahrtausend und damit eine bemerkenswerte Langlebigkeit aufweisen. Das ihnen inhärente symbolische Kapital war offenbar so substanziell, dass es nicht entsorgt, sondern über ein Jahrtausend hinweg den jeweiligen Zeitumständen angepasst wurde.<br/>Alle vier Universalmonarchien hatten sehr spezifische Ausprägungen, waren in unterschiedlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeldern verortet, mit verschiedenen Gruppen von Akteuren konfrontiert und historischem Wandel unterworfen. Vom Standpunkt einer longue durée aus betrachtet, ist es jedoch frappierend, dass sowohl im Christentum als auch im Islam parallel zur Ausbildung der zwei großen Hauptkonfessionen der Exklusivitätsanspruch der Universalmonarchie spätantiker Provenienz ab dem 9. Jahrhundert jeweils mit einem Gegenmodell konfrontiert wurde. Dieses Phänomen ist der rote Faden dieser Arbeit, anhand dessen ich eine gemeinsame Perspektive auf monarchische christliche und islamische Herrschaftsformen und ihr Verhältnis zur Religion im Früh- und Hochmittelalter in einer Shared History entwickle, die durch den hier vorgenommenen Vergleich zu Tage tritt. Mit diesem Fokus beansprucht diese Studie nicht, die Herrschaftsformen der behandelten Monarchien umfassend zu analysieren. Im Zentrum stehen hier vielmehr jene Aspekte, die mutatis mutandis in der Forschung bisher als "sakral" bezeichnet wurden. Dabei vertrete ich die These, dass die erwähnten vier Universalmonarchien in einer gemeinsamen historischen Linie stehen, einander beeinflussten und ein für diese Zeit (von der Spätantike bis zum 13. Jahrhundert) und diesen Raum typisches Grundmuster über das Verhältnis von Religion und Herrschaft gemeinsam entfalteten, das sie innerhalb ihrer jeweiligen Ökumenen unterschiedlich variierten.<br/>Diese Studie führt den Blickwinkel der Arbeiten von Garth Fowden und Aziz al-Azmeh fort, die in den 1990er-Jahren die Reiche der Nachfolger Konstantins und Mu?ammads in den gemeinsamen historischen Kontext der Spätantike stellten und damit Varianten des byzantinischen, arabischen und lateinischen Königtums analysierten. Das von Fowden und al-Azmeh eröffnete Forschungsfeld soll mit der hier getroffenen Auswahl von vier Universalmonarchien im Profil weiter geschärft werden. Im deutschsprachigen Raum steht diese Arbeit an der Seite der komparativen Studien von Wolfram Drews und Jenny Oesterle, die bestimmte Aspekte zwischen dem lateinischen Kaisertum und den Abbasiden beziehungsweise Fatimiden miteinander vergleichen. Dieser vergleichende Blick wird in der vorliegenden Untersuchung um die Einbeziehung historischer Kontinuitäten und (im geringeren Umfang) Verflechtungen im diachronen Entwicklungsverlauf der monotheistischen Universalmonarchie ergänzt. Mit den konstatierten Kreuzungen im historischen Untersuchungsgegenstand, der Durchkreuzung unterschiedlicher Forschungsfelder und dem fortwährenden Dialog zwischen dem historischen Material und den analytischen Kategorien ist diese Arbeit auch ein Beitrag zum Programm einer histoire croisée.<br/>1.2Der Vergleich im Kreuzfeuer<br/>Komparative Studien sind in der Geschichtswissenschaft seit langem grundsätzlich anerkannt, aber in ihrer konkreten Durchführung in einem besonderen Ausmaß kritischen Nachfragen ausgesetzt. Das macht sie für die jeweilige Bearbeiterin risikoreich, zuweilen zermürbend, aber auch zu einer faszinierenden methodischen Herausforderung. Historiker, die einen historischen Vergleich durchführen, werden häufig mit den beiden klassischen Einwänden konfrontiert: (1) dem Vorwurf, dass die gewählten Vergleichseinheiten unvergleichbar seien und der Vergleich keinen Sinn mache (der Äpfel-und-Birnen-Einwand), (2) dem Vorwurf, dass man anstelle von A und B eine andere Vergleichskonstellation wie A, B und C oder A, C und D hätte wählen sollen (der ABCD-Einwand). Überdies mag Expertin für Fachgebiet A ebenso wie Experte für Fachgebiet B mit triftigen Gründen auf spezielle Punkte hinweisen, die in der komparativen Perspektive zu kurz gekommen, übersehen oder falsch eingeordnet wurden.<br/>In letzter Zeit ist zu diesen beiden klassischen Einwänden ein weiterer hinzugekommen. In der methodischen Debatte wurde zu Recht auf die Gefahr hingewiesen, dass Vergleiche durch die Setzung ihrer Vergleichseinheiten die Grenzen von Nationen oder Kulturen - in diesem Fall zwischen "Christentum" und "Islam" (oder, anders gefasst, zwischen Byzanz, Islam und dem lateinischen Europa) - eher verstärken als relativieren, wenn die komparative Perspektive nicht durch Elemente verflochtener Geschichte ergänzt wird (der Grenzmauer-Einwand). Allerdings gerät der Vergleich hier zu Unrecht allein ins Kreuzfeuer der Kritik - auf jede Europageschichte, jede Überblicksdarstellung über die Geschichte des Islams, auf transkulturelle Migrationsgeschichten und Kulturtransferanalysen trifft zu, dass sie mit historiographischen Kulturgrenzen arbeiten und diese damit direkt oder indirekt untermauern können. Historischen Analysen ist bekanntlich auch dann ein vergleichendes Moment inhärent, wenn diese nicht als komparative Studien angelegt sind - ansonsten könnten sie ihren Untersuchungsgegenstand nicht kontextualisieren. Die Angreifbarkeit eines explizit komparativen Ansatzes kann also auch als Vorteil genutzt werden. Denn durch den Vergleich kommen grundsätzliche Probleme zum Vorschein, die ansonsten nicht zwangsläufig ans Licht treten. Dieser Umstand ist im Rahmen der Forschungsdialektik sehr zu begrüßen, bringt für das konkrete Arbeiten an einem komparativen Projekt jedoch viele Wendepunkte, an denen die analytischen Achsen neu ausgerichtet könnten.<br/>