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Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa
Gerichte als Vormund der Demokratie?, Normative Orders 2
ISBN/EAN: 9783593392837
Umbreit-Nr.: 1154349
Sprache:
Deutsch
Umfang: 312 S.
Format in cm: 1.8 x 21 x 14
Einband:
Paperback
Erschienen am 14.02.2011
Auflage: 1/2011
- Zusatztext
- Was als Grund- und Menschenrechte gelten soll, muss von den Berechtigten immer wieder ausgehandelt werden. Wie das geschieht und wie spannungsreich dieser Prozess ist, zeigt dieser Band. International sind vor allem die Gerichte von Bedeutung, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Auf der nationalen Ebene geht es um die Zuteilung von Kompetenzen an verfassungsgebende Versammlungen, Parlamente und Gerichte. Deutlich wird, dass trotz aller Vereinheitlichungen in Europa eine große nationale Vielfalt besteht.
- Kurztext
- Was als Grund- und Menschenrechte gelten soll, muss von den Berechtigten immer wieder ausgehandelt werden. Wie das geschieht und wie spannungsreich dieser Prozess ist, zeigt dieser Band. International sind vor allem die Gerichte von Bedeutung, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Auf der nationalen Ebene geht es um die Zuteilung von Kompetenzen an verfassungsgebende Versammlungen, Parlamente und Gerichte. Deutlich wird, dass trotz aller Vereinheitlichungen in Europa eine große nationale Vielfalt besteht.
- Schlagzeile
- Normative Orders
- Leseprobe
- Vorwort Der vorliegende Band enthält die Beiträge zu einer Tagung über "Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa", die am 15. und 16. Mai 2009 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfand. Organisiert wurde diese Tagung vom Fachbereich Rechtswissenschaft und dem an der Goethe-Universität institutionalisierten Exzellenzcluster "Herausbildung normativer Ordnungen" in Kooperation mit dem Center of Excellence "Foundation of European Law and Policy" der Universität Helsinki und der "European Commission for Democracy through Law" des Europarats, der so genannten "Venedig-Kommission". Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage der primären institutionellen Zuständigkeit für die Definition von Grundrechten und Menschenrechten: Soll die Aufgabe der Ausgestaltung und Ausformulierung von Grund- und Menschenrechten vorrangig den Volksvertretungen (Parlamenten), oder aber den Gerichten zugewiesen werden? Für die Erörterung dieser zentralen Frage erwies sich die Einbeziehung von Wissenschaftlern, die zugleich in justiziellen oder anderen staatlichen Institutionen an maßgeblicher Stelle Verantwortung tragen bzw. getragen haben, als besonders fruchtbar. Denn die Frage kann, wie sich in den Vorträgen und Diskussionen bestätigte, nicht allein anhand rechts- und staatstheoretischer Analysen, sie muss auch auf der Basis einer genauen Kenntnis und realistischen Einschätzung der Institutionen beantwortet werden, um deren vorrangige Zuständigkeit für die Definition von Grund- und Menschenrechte es geht. Aus der Perspektive der Rechts- und Staatstheorie ist diese Frage eng mit dem Problem der Begründung der Menschenrechte verbunden. Strikt und fast unvertretbar vereinfacht: Versteht man Menschenrechte, im Sinne naturrechtlicher Deutungsmuster, als vorgegeben, dann besteht die Aufgabe nicht in der Formulierung, sondern in der Reformulierung dieser Rechte. Es geht um einen kognitiven Akt, für den es keiner "politischen" Legitimation bedarf. Ausreichend ist eine kognitive Kompetenz, die eher den für die "Erkenntnis" des Rechts zuständigen Gerichten zuzuerkennen wäre. Werden Menschenrechte dagegen als Ergebnisse einer normativen Verständigung interpretiert, dann sind für ihre Definition primär die Institutionen zuständig, die den politischen Gestaltungswillen und die Gestaltungskompetenz des Volkes repräsentieren, also die Parlamente als die "Vertretungen" dieses Volkes. In dieser Gegenüberstellung sprechen die besseren Argumente prima facie für das zweite Modell. Versteht man die Annahme vorgegebener Menschenrechte in einem ontologischen Sinn, dann ist sie heute erkenntnistheoretisch diskreditiert. Die Berufung auf transzendente Instanzen ist dem "nachmetaphysischen" Denken verwehrt, die in Hinblick auf irdische Machthaber (Fürsten) politisch überholte Vorstellung einer "Gewährung" von Menschenrechten "von oben" also auch in ihrer religiösen Transposition obsolet. Eine Argumentation aus der menschlichen Natur würde - zumindest - dem Verdikt eines fehlerhaften Schlusses von einem Sein auf ein Sollen, eines "naturalistischen Fehlschlusses", zum Opfer fallen. Und der Versuch, Menschenrechte aus der menschlichen Vernunft abzuleiten, müsste mit dem Einwand rechnen, dass die Vernunft ohne metaphysische Zusatzprämissen nur als operatives Vermögen, nicht aber als Ursprung normativer Konstrukte in Betracht komme. Es sind aber nicht nur erkenntnistheoretische Argumente, die eine Ablehnung des naturrechtlichen Deutungsmusters und die alternative Interpretation der Menschenrechte als Ergebnis einer normativen Verständigung nahelegen. Die Idee vorgegebener Rechte stößt sich tendenziell mit dem Grundsatz, dass die Konstitution der Prinzipien staatlichen Zusammenlebens, und damit auch der fundamentalen Rechte des Einzelnen, der Entscheidung des souveränen Volkes obliegt. Die hier resultierende Spannung soll über die Idee der "Gleichursprünglichkeit von Menschenrechten und Volkssouveränität" (Habermas) abgefedert werden. Mit der Betonung der Volkssouveränität verbindet sich folgerichtig eine Option für die Volksvertretungen und gegen die Gerichte, insbesondere, soweit es um Fragen der Handhabung der Verfassung (und damit auch der Definition der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grund- und Menschenrechte) geht. Die Verfassungsgerichtsbarkeit erscheint aus dieser Perspektive als Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der Demokratie und als Eingriff in die Kompetenzen des Parlaments als des Repräsentanten des souveränen Volkes.