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Alles unter Kontrolle?

Zur Geschichte der Zensur an der Universität Jena 1557/58 bis 1848/49
ISBN/EAN: 9783948259181
Umbreit-Nr.: 4243264

Sprache: Deutsch
Umfang: 368 S.
Format in cm: 2.2 x 24.7 x 17.8
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 11.12.2023
€ 29,90
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Auftakt der Geschichte der Jenaer Zensur ist ein zensurnaher Akt: Martin Luther vertreibt 1524 den Reformator ­Andreas Karlstadt und Jenas ersten Drucker. Mit der Jenaer Lutherausgabe (1555-1558) wird die Zensur dann auch in der Saalestadt relevant. Sie wird zunächst vom Weimarer Hof direkt ausgeübt. Als Vorrecht der 1558 gegründeten 'Salana' wird die Zensur erstmals in ihrem Statut von 1569 ausgewiesen. Anhand der folgenden Statuten und der sie begleitenden landesherrlichen Visitationen wird gezeigt, wie sich die Zensur als akademische 'Observanz' inhaltlich entwickelte und wandelte.
  • Leseprobe
    • Vorwort Am 10. Oktober 1962 veröffentlichte Der Spiegel anlässlich des NATO-Manövers Fallex 62 einen Arti­kel, der erhebliche Zweifel an der bundesdeutschen Verteidigungsfähigkeit äußerte. Die Bundesanwaltschaft betrachtete diese Veröffentlichung als militärischen Landesverrat und staats­gefährdende Verschwörung. Am 26. Oktober 1962 besetzten Polizeibeamte und Staatsanwälte Diensträume der Spiegel-Redaktionen in Hamburg, Düsseldorf und Bonn. Herausgeber, Autoren und Redakteure des Hamburger Nachrichtenmagazins wurden verhaftet. Doch die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos. Die konservativ geführte Bundesregierung, die sich die Verdächtigungen zu eigen gemacht hatte, musste zurückstecken: Zwei Staatssekretäre wurden entlassen, der Verteidigungsminister trat zurück, die inhaftierten Journalisten wurden freigelassen. Der Skandal endete mit einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts, dass die Aktion gegen das Printmagazin ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit darstellt. Es stellte zugleich fest, dass eine freie, von der öffentlichen Gewalt unabhängige Presse ein Wesensmerkmal des freiheitlichen Rechtsstaates ist. Die Aktion gegen den Spiegel und Versuche ähnlicher Art sind an der Wachsamkeit der Öffentlichkeit und der Unabhängigkeit der Rechtsprechung gescheitert. Die parlamentarische Demokratie erwies sich als wehrhaft und robust. Die SpiegelAffäre war nicht nur ein Bruch der in Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes proklamierten Meinungsfreiheit, sondern verstieß auch gegen das an gleicher Stelle garantierte Gebot: 'Eine Zensur findet nicht statt.' Zensur im Sinne des Grundgesetzes ist ein 'kommunikationsgerichtetes Inhaltskontrollverfahren. Es besteht aus einem auf inhaltliche Prüfung abzielenden Überwachungsvorgang und kann auf ein zurechenbares Drohpotential von grundrechtseingreifenden Sanktionsinstrumenten zurückgreifen, die auf die Kommunikation belastend einwirken.' Das Zensurverbot ist daher eine absolute Eingriffsschranke und das Existenzminimum der Meinungs- und Pressefreiheit. Die behördliche Vorprüfung des Inhalts eines Geisteswerkes vor seiner Verbreitung ist nicht statthaft und rechtswidrig. Das Zensurverbot des Grundgesetzes verhindert 'die präventive Vorschaltung eines behördlichen Verfahrens [] vor dessen Abschluß das Werk nicht publiziert werden darf.' Im demokratischen Rechtsstaat ist somit die Verbreitung von Stellungnahmen oder Beurteilungen geschützt, gleichviel ob sie richtig, falsch oder einseitig sind. Auch provozierende, unbequeme oder schockierende Äußerungen in Presse, Funk, Theater, Internet und Fernsehen, in Büchern, Vorträgen, in der bildenden Kunst und auf Tonträgern sind erlaubt. Die Freiheitsrechte sind Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat, sie sind die Voraussetzung der demokratischen Willensbildung. Unbegrenzt ist die öffentliche Kommunikation im modernen Rechtsstaat gleichwohl nicht. Dass öffentliche Kommunikation, Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind, bedeutet nicht, dass diese Freiheit schrankenlos ist. Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland heißt es daher: 'Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung' (Art 5, Absatz 3). Grenzen setzen die aus der Würde des Menschen als oberstem Verfassungsgebot abgeleiteten gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre. Diese Rahmen setzenden Schranken ermöglichen den gleichberechtigten, diskriminierungs­freien Diskurs in der Gesellschaft. Äußerungen mündlicher oder gedruckter Art, die den Straftatbestand der Rassendiskriminierung, des Antisemitismus sowie der Volksverhetzung erfüllen, sind verboten. Strafrechtlich verfolgt werden auch die Leugnung des Holocausts, die öffentliche Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole sowie Aufrufe zu Straftaten, die Verletzung der Ehre von Personen und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Meinungsfreiheit gilt also unter dem Vorbehalt, dass andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang nicht verletzt werden. Die Begrenztheit der Kommunikationsfreiheit trifft für den modernen Verfassungsstaat wie auch für den Obrigkeitsstaat zu. 'Man muß sich nur', schreibt Wolfram Siemann, 'einzelne Passagen des gegenwärtig gültigen Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland anschauen, um das wiederzuerkennen, was ehedem auch Teil und Aufgabe der Zensur gewesen ist, nämlich dem gedruckten, veröffentlichten oder mündlich geäußerten Wort Schranken zu setzen.' Kein Zweifel: ' das Strafrecht übt Kommunikationskontrolle aus.' Rechtsprechung und Gesetzesinterpretation jedoch unterscheiden sich. Sie sind - kurz gesagt - im Obrigkeitsstaat repressiv, im Verfassungsstaat liberal, unabhängig, der Appellation zugänglich und Gegenstand des öffentlichen Diskurses. Diese Unterschiede spiegeln den gesellschaftspolitisch bedingten Wertewandel. In den letzten Jahrzehnten haben sich mit dem Kabel- und Satellitenfernsehen, dem Videotext und dem Internet neue Medientechnologien etabliert und die Kommunikationsverhältnisse revolutioniert. Das Internet erlaubt den raschen Zugriff auf global vernetzte Informationsquellen. Die Sammlung, Zusammenführung, Auswertung und Verwendung von Datenbeständen aller Art haben sich in ungeahnter Weise beschleunigt. Der Einsatz digitaler Technologien verändert rasant die Produktionsprozesse, die Verwaltung, das Bildungs- und Gesundheitswesen. Im heutigen Mediendiskurs äußern viele ihr Unbehagen über die digitale Revolution und empfinden sie eher als bedrohlich. Es häufen sich Klagen über eine 'zügellose, vor allem demokratie- und jugendgefährdende Kommunikation sowie über anhaltenden Werteverfall.' Andererseits wird befürchtet, dass eine neue Art von Zensur im Entstehen begriffen ist. Das Gefühl, zunehmend von anonymen Mächten kontrolliert zu werden, breitet sich aus. Der 'gläserne' Staatsbürger scheint möglich, und viele haben den Eindruck, mehr als je zuvor bevormundet zu werden. Im Juli 2020 beklagten über 150 überwiegend amerikanische Intellektuelle eine 'Atmosphäre von Zensur' und 'schwere Vergeltungsmaßnahmen' für diejenigen, die sich 'vermeintliche sprachliche oder gedankliche Entgleisungen' leisten. Viele Bedenken beziehen sich auf das Internet, das lange ein quasi rechtsfreier Raum war, in dem insbesondere in den sozialen Netzwerken Hasstiraden, Fake News, pornografische Darstellungen und Verschwörungstheorien aller Art ungehindert zirkulieren konnten. Darauf reagierte das im Sommer 2017 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Schutzpflicht des Staates mit der Meinungsfreiheit sinnvoll verbinden soll. Die Betreiber der digitalen Netzwerke sind nun zu einem grundgesetzkonformen Verhalten verpflichtet, sollen also die politische Kommunikation von Störungen frei halten, die dem Ideal eines herrschaftsfreien, allen zugänglichen Diskurses abträglich sind. Ob das Gesetz diesem Zweck gerecht wird, ist zwar umstritten, doch steht fest, dass das Zensurverbot des deutschen Grundgesetzes im Lichte heutiger Entwicklungen einer Neuinterpretation bedarf. Die Zensur ist heute nicht zuletzt deshalb noch immer aktuell, weil autoritäre und diktatorische Regimes sie als ein Instrument der Machtsicherung und der gesellschaftlichen Kontrolle gebrauchen. Die Zensur soll das Entstehen eines kritischen Journalismus und einer offenen Zivilgesellschaft verhindern. Auch wenn in heutigen Diktaturen formal Presse- und Meinungsfreiheit proklamiert werden, bedienen sie sich ausgeklügelter Verfahren, um die Verbreitung von Informationen zu kanalisieren, etwa durch Beschränkung der Internetnutzung oder des Zugangs zu ausländischen Medien. In Obrigkeitsstaaten sind Machtsicherungsinteressen der politischen Eliten und des Staates die primären Kriterien für Barrieren und Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. In die heutige Interpretation und Anwendung des grundgesetzlichen Zensurverbots in der Bundesrepublik sind auch historische Erfahrungen mit der Zensur eingeflosse...